4. Sonntag im Jahreskreis | 29. Jänner 2023
Meditation

Interview mit dem Licht

Was für eine Botschaft bringst du?
Licht: Du weißt ja – etwas vom Schönsten, was ich in die Atmosphäre zaubern kann, ist der Regenbogen. Ich male ihn als fröhliches Finale in abziehende dunkle Gewitterwolken. Und im Buch Genesis hat der Schöpfer dieses Farbenspiel in Milliarden winziger Wassertröpfchen zu seinem Firmenzeichen über die Menschheit gewählt: „Wenn ich meinen Bogen ins Gewölk setze, dann will ich meines Bundes zwischen mir und euch und allen lebenden Wesen gedenken …“ (Gen 9,13). Spätestens seit damals weiß ich, dass ich, das Licht, mehr bin als Photonenphänomen oder irgendeine Naturerscheinung.

Du bist also eine Art tröstliche Botschaft, die durch die Tage und Nächte der Erde zieht, so eine Art „Victory-Signal“ des Unendlichen. Du deutest an, dass die Helle über der Finsternis, die Freude über dem Leid, die Lust über dem Schmerz, das Leben über dem Tod, die Ewigkeit über der Zeit steht. Bist du so etwas wie ein Vorzeichen der Hoffnung, das über allen Rätseln des Daseins strahlt und durch alle Nebel schimmert?
Licht: Ich glaube, dass mir der Allgütige diese Rolle zuweist. Alles Leben ist in die Gegensätze eingespannt, die du jetzt angedeutet hast. Ich, das Licht, bin in dieser Welt immer mit meinem Bruder, dem Schatten, konfrontiert. Aber er weiß, dass ich der Sieger bleiben werde.

Ist das so sicher? Ich muss gestehen, dass manche meiner lieben Mitmenschen diese tröstliche Schau ihrer Existenz nicht so erleben. Was ist mit dem, der sich neulich vor den Zug geworfen hat? Und mit dem Psychopathen, der nur hassen kann? Und mit dem, der eben erfahren hat, dass er den Kampf mit dem Tumor nicht gewinnen wird? Bist du wirklich so ein positives Symbol?
Licht: Nein, ich bin es nicht immer. Als Teil der Schöpfung bin ich ja nur ein schwaches, fragwürdiges Abbild des Größeren. Es gibt dunkle Rätsel in der Menschenseele – so wie die Schwarzen Löcher im Universum, die mich mit ihrer Schwerkraft verschlucken. Aber ich bin eben nur ein Bild. Der, der mich im Regenbogen zum Bild gewählt hat, ist stärker als alle Quasare des Weltalls und alle Abgründe des Menschenherzens.

Woher weißt du das so genau? Du hast ihn auf deiner Jagd durch die Jahrmilliarden doch nie erreicht …?
Licht: Aber es gibt einen, der aus der Unendlichkeit gekommen ist und gesagt hat: „Ich bin das Licht der Welt …“

Reinhold Stecher in seinem Buch „Werte im Wellengang. Ungewöhnliche Interviews“, erschienen im Jahr 2000 im Tyrolia-Verlag. Der ehemalige Bischof von Innsbruck (1981–1996), starb vor zehn Jahren, am
29. Jänner 2013.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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