Fastenzeit
Verletzlich & vergänglich

Wolfgang Grinschgl, Aschemänner, 2022/23. © Grinschgl
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Zum Kunst-Aschermittwoch sprach Alois Kölbl mit Wolfgang Grinschgl über seine Bilder im Dialog mit einem Kirchenraum. Zu sehen in der Kirche Graz-St.Andrä.

Die Malerei war in den letzten Jahrzehnten schon öfter totgesagt. Du bist ihr immer treu geblieben und beschäftigst dich im Zeitalter von digitaler Technologie und Cyberrealität seit vielen Jahren mit dem eigenen Porträt. Lässt sich das als Gegenentwurf zu den Entwicklungen mensch-lichen Lebens im 21. Jahrhundert lesen?
Es klingt vielleicht etwas eigenartig, wenn ich erzähle, wie das alles begonnen hat. Ich war einfach in einer Situation, in der ich für eine anstehende Ausstellung sehr schnell Bilder produzieren musste. Es ging um einen „Kunst-Supermarkt“, auf dem für ein Publikum, das sich sonst keine Kunst kaufen würde, zu Billigpreisen Original-Werke angeboten wurden. Das klingt kurios, bot mir aber damals die Gelegenheit, mit der Schnelligkeit des Malens zu experimentieren.

Ich habe begonnen, sehr schnell eine Serie von Selbstporträts zu malen. Ich habe einfach ein paar Farbflecken auf die Leinwand geworfen und daraus mein Gesicht geformt, sehr verwischt und nur angedeutet. Das war für mich verbunden mit einer Befreiung von einer zuvor eher verkrampften Herangehensweise und der Suche einer Form, bei der ich immer in der Fläche geblieben bin.

Gerade im Zeitalter technischer Abläufe und der Digitalisierung bedeutet Malerei für mich auch so etwas wie das Zurückholen des menschlichen Aspekts. Es geht da um das von Handarbeit bestimmte und ganz analoge Arbeiten mit einem Pinsel, aber auch um Langsamkeit. Das mag nach dem Gesagten eigenartig klingen, aber da geht es auch um den Aspekt der Ruhe und Entschleunigung. Obwohl ich sehr schnell arbeite, geschieht das mit innerer Ruhe und als Nachdenkprozess.

Diese Bildserie heißt „Aschemänner“. Wie kam es zu diesem Titel, der schon feststand, bevor klar war, dass sie am Aschermittwoch in einer Kirche hängen würden?
Am Anfang dieser Bildserie steht ein Video. Ich wollte etwas Neues probieren und habe mich selbst gefilmt, mit nacktem Oberkörper am Boden liegend und mein Gesicht mit Mehl bestäubend. Mir ging es um die Darstellung der menschlichen Verletzlichkeit. Ich habe vorher nicht bedacht, dass ich dabei fast nicht mehr atmen können würde. Und beim Abschütteln der Pigmente entstand eine Staubwolke, die mir die Sicht raubte. Ich sah fast nichts mehr, obwohl es ein heller Sonnentag war. Weil die Speicherkarte meiner Kamera voll war, musste ich diese ganze Prozedur wiederholen. Das war eine sehr existenzielle Erfahrung. Ich war ja auch ganz allein. Für das Malen der Bilder habe ich dann jeweils drei Fotos übereinander gelagert. Man kann da an die Dynamik der Dreieinigkeit, aber auch an das ‚Ich‘, ‚Über-Ich‘ und ‚Es‘ der Psychologie denken. Ich wollte einen Blick auf mich selber aus einer Außenperspektive werfen. Die Asche ist dabei wie eine Verkleidung oder vielleicht sogar eine Verwandlung.

Fastenzeit bedeutet auch Konzentration auf das Wesentliche, eine Einladung zur Auseinandersetzung mit sich selber. Siehst du da einen Zusammenhang, wenn deine Bilder vierzig Tage lang in einem Kirchenraum zu sehen sein werden?
Ich habe selber sehr intensive Fasten-Erfahrungen. Durch das Fasten spürt man nicht nur seinen Körper intensiver, sondern wird auch im Kopf freier. Ganz unwillkürlich
kommen dann Fragen wie: Bin das noch ich? Man hinterfragt sich selbst. Was gehört wirklich zu mir? Mein nackter Oberkörper und das wie in einem Nebel verhüllte Gesicht entfalten in einem Kirchenraum natürlich ganz andere Assoziationen als in einer Galerie. Da kommen Assoziationen zu Christus, dem entblößten und zur Schau gestellten ‚Ecce Homo‘. Das Moment menschlicher Verletzlichkeit bekommt in einem Kirchraum so auch eine ganz andere Dimension. Das ist etwas, das ich als Künstler so nicht intentional in das Bild gelegt habe. Das entwickelt sich dialogisch mit dem Raum.

Ein Dialog mit dem Raum, mit den Betrachtenden, aber auch mit dir als Künstler …
Ja, auf jeden Fall! Durch meine spontane Malerei kann ich mich mit meinen Werken auch selbst überraschen. Da entstehen manchmal Dinge im Bild, die ich erst nach dem Malprozess entdecke. Die freie Kreativität des Malens erzeugt bei mir immer auch ein Glücksgefühl, in dem ich mich ganz verlieren kann. Ich kann ohne Malerei nicht existieren. Malen ist fast wie Atmen für mich.

Kultum, QL-Galerie und AndräKunst laden auch heuer zum traditionellen Kunst-Aschermittwoch. Er beginnt um 15 Uhr mit einem Gespräch in der Ausstellung „Cinema Altera“ von Kurator Johannes Rauchenberger mit dem Medienkünstler Thomas Henke über seine berührend-existenziellen filmischen Porträtarbeiten im Kultum und setzt sich am Abend um 19 Uhr in der Aschermittwochliturgie mit Aschenkreuzauflegung in der Andräkirche fort.

Wolfgang Grinschgl, Aschemänner, 2022/23. © Grinschgl
Wolfgang Grinschgl beschäftigte sich für die Bildserie „Aschemänner“ mit seinem eigenen Porträt und zeigt menschliche Verletzlichkeit.
Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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