SONNTAG. Der Tag zum Leben | Teil 03
Heilig & Profan

Das gemeinsame Erleben von gegliederten Zeiten, von Alltagszeiten und Festzeiten schafft Gemeinschaft. Was Weihnachten, Ostern, Pfingsten oder ein Sonntag ist, lernt man durch die Begehung solcher Tage. | Foto: Foto: Anna Kahr
  • Das gemeinsame Erleben von gegliederten Zeiten, von Alltagszeiten und Festzeiten schafft Gemeinschaft. Was Weihnachten, Ostern, Pfingsten oder ein Sonntag ist, lernt man durch die Begehung solcher Tage.
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Alte katholische Welten

In meiner Kindheit lebten wir in kräftigen und Furcht erregenden Welten, in bergenden und gefährlichen, eben in heiligen Welten. Heilig war ein Grundwort dieser Welten. Nicht alles war heilig, es gab heilige Zeiten und andere. Heilige Zeiten waren solche, an denen man besondere Ablässe gewinnen konnte wie etwa an Allerheiligen und Allerseelen oder in einem Heiligen Jahr. Die Nächte zwischen Weihnachten und Dreikönig waren heilig. Es gab natürlich die Sonntage als heilige Zeiten. Jeder Sonntag erinnerte an die Auferstehung Christi.

Es gab auch heilig-kräftige Orte wie die Wallfahrtsorte, an denen man in besonderer Weise beten konnte für die Gesundheit der Augen, der Galle, für einen guten Ehemann und für dessen Treue.

Es gab heilige Formeln, die genau einzuhalten waren, wenn sie wirken sollten, so die Absolutionsformel bei der Beichte und die Einsetzungsformeln in der Messe.

Der Begriff heilig hat in dieser Welt wenig mit sittlicher Vollkommenheit zu tun. Man könnte ihn fast gleichsetzen mit kräftig, und sein Gegenteil ist nicht „böse“, sondern kraftlos. Das Profane ist das Alltäglich-Kraftlose. In dieser Welt lebten die Menschen, geborgen, weil sie wussten, was zu tun war; geängstigt, weil man immer in der Gefahr war, den heiligen Vollzug, die heilige Formel, den heiligen Ort und die heilige Zeit zu verletzen. Aber das Hauptgefühl in solchen Landschaften ist nicht Angst, sondern Geborgenheit. Man kennt die Orte, die Zeiten und die Kräfte, und man kann sie nutzen. Es waren eher religiös gekonnte als fromme Welten. So sahen alte katholische Welten aus.

Unterscheidungen lernen

Der Geist muss Orte und Zeiten finden, wenn er langfristig bleiben soll. So lese ich denn mit einem zweiten Blick die Welt meiner katholischen Kindheit und die „Heiligkeit“ ihrer Orte und Zeiten. Es war eine Welt, die uns Unterscheidung gelehrt hat: den einen Ort vom anderen, die eine Praxis von der anderen, die eine Zeit von der anderen. Vielleicht war immer ein Stück Magie der Unterscheidung der Orte, Zeiten und Praxen beigemischt. Inzwischen aber frage ich mich, was gefährlicher ist: die Portion Magie oder der Verlust des Geistes im unbezeichneten Leben, die Verödung der Religiosität, die keine Stätte findet?

Gleichförmigkeit verödet den Geist und tötet die Aufmerksamkeit, auch die Gleichförmigkeit der Zeit. Darum haben Menschen in Rhythmen, die sie ihrem Leben gegeben haben, die Zeiten unterschieden. Sie haben mit bestimmten Gesten den Morgen geachtet, sie haben den Höhepunkt des Tages mit einer kleinen Geste begangen, etwa mit dem Angelus um 12 Uhr, sie haben den Abend begangen, etwa mit Gebeten. Sie haben die Sonntage von den Werktagen unterschieden, nicht nur indem sie am Sonntag nicht gearbeitet haben. Sie haben sich anders gekleidet, sie haben anders gegessen, sie hatten für anderes Zeit. Was der Sonntag war, hatten sie nicht in einem abstrakten Wissen, sondern in konkreten Begehungen. Sie haben sich anders „aufgeführt“. Sie haben ihr Wissen um den Sonntag gelernt und gefestigt mit Inszenierungen, die aus dem anderen Essen, den anderen Kleidern, dem anderen Umgang mit der Zeit bestanden. Es gibt keine Lebenswichtigkeit, keine Lebenswahrheit, die sich nicht in der Zeit auslegt, die also nicht gefeiert wird und ihr Fest findet. Der Geist legt sich in der Zeit aus. Menschen haben die Jahreszeiten gegliedert, sie hatten die großen Festtage als Zeitmarkierungen. Die Zeitordnung und der Rhythmus haben die Gleichgültigkeit des Lebens unterbrochen. Nicht jeder als einzelner hat die Verschiedenheit der Zeiten beachtet. Sonntage, Festtage und das Brauchtum zur Betonung der Zeiten kamen aus dem kollektiven Wissen einer Gruppe. Es war für die Einzelnen leicht, die Zeiten einzuhalten, weil viele dies taten. Zugleich hat die gemeinsame Einhaltung der Zeiten die Gemeinschaften und die Kollektive geschaffen. Menschen fühlten sich zusammengehörig, indem sie gemeinsam Zeiten feierten.

Besonders Kinder, aber nicht nur sie, lernen Religion nicht hauptsächlich als Lehre, sondern als Inszenierung. Sie lernen sie von außen nach innen. Was Weihnachten, Ostern, Pfingsten oder ein Sonntag ist, lernen sie durch die Begehung solcher Tage und durch die Vorbereitung auf sie. Sie lernen es dadurch, dass sie auf Rhythmen und gegliederte Zeiten treffen. Zeitliche Gliederungen ermöglichen die Aufmerksamkeit auf Inhalte.

Der Zeit Würde geben

Eine der großen Störungen des religiösen Lernens ist die Zerstörung der Rhythmen und die Vergleichgültigung der Zeiten. Wenn der Vater am Sonntag das Auto putzt und die Mutter die Wäsche wäscht wie im Alltag, wird das Kind trotz aller verbalen Lehren nicht lernen, was ein Sonntag ist. Übrigens werden es auch die Eltern verlernen. Was ein heiliger Tag ist, lernt man durch die Heiligung des Tages. „Den Sonntag heiligen“ hat man früher gesagt, ein schönes Bild: die Zeit nicht nur in öder Gleichgültigkeit hinnehmen, sondern ihr Würde verleihen, indem man sie begeht. Neben unserem Haus wirbt eine Tankstelle: „Geöffnet 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche!“ Wir suchen die Religionsgegner oft an der falschen Stelle. Alle Zeiten dem Profit zu unterwerfen, das ist die wirkliche Untergrabung von religiösen Möglichkeiten. Es wird neu Aufgabe der Kirche werden, für das einzutreten, was keine Profite bringt: für die heilige Zeit, für die Sonntage, für die Festtage.

Fulbert Steffensky

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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