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Der Kreuzweg

Henri Matisse: Kreuzweg in der Rosenkranzkapelle, Vence.   | Foto: Finster

Betrachtung des letzten irdischen Weges Jesu in vierzehn Stationen.

1. Station | DAS URTEIL
Jesus wird zum Tode verurteilt

Was ist der Mensch dem Menschen?
Ein Wolf, ein Feind, ein Konkurrent?
Oder ein Freund, ein Helfer, ein Bruder?
Kreuzwege von Menschen den Menschen bereitet – gestern wie heute …

2. Station | KREUZTRÄGER
Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern

Leid kann abstumpfen, erdrücken, töten.
Leid kann weiterbringen, sensibel und
reicher machen.
Das Kreuz, das du trägst, wird dich tragen.

3. Station | GEFALLEN
Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz

Der Feind der Gerechtigkeit ist die Selbstgerechtigkeit. Mehr als Ungerechtigkeit erdrückt uns Unversöhnlichkeit.
Der die selbstgefällig Frommen vor den Kopf stieß, galt als Freund der Sünder.

4. Station | MUTTERLIEBE
Jesus begegnet seiner Mutter

Sind es die Gene, Erbanlagen und die legitime Zeugung, die Frauen zu Müttern und Männer zu Vätern machen? Oder ist es die Liebe, die Güte, die Geduld? Die lieblosen Mütter, die prügelnden Väter, die gleichgültigen Kinder: Wem sind sie Mütter, Väter, Kinder?

5. Station | MITTRAGEN
Simon von Zyrene hilft Jesus das Kreuz tragen

Das eigene Kreuz ist schwer genug. Wer wird sich noch mit fremdem Kreuz belasten? Mit fremdem Leid, mit fremder Krankheit, mit fremden Sorgen, mit fremder Mühe? Wer will denn fremdes Leid zu eigenem Leid machen?
Einer trage des anderen Last.
Wer mitträgt, wird mitgetragen.

6. Station | TRÖSTERIN
Veronika reicht Jesus das Schweißtuch

Nicht um zu vertrösten – zu trösten sind wir da. Nicht die geschickte Ablenkung – die Aufmerksamkeit gibt Trost. Nicht die routinierte Rede – die Zuwendung richtet auf.

7. Station | GEFALLEN 2.0
Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz

Nicht das Vermeiden des Falls unterscheidet den Guten vom Bösen – sondern das Aufstehen nach dem Fall. Nicht die Sünde bringt uns den Tod – sondern das Liegenbleiben.
Nicht der Hass macht uns kaputt – sondern die Unversöhnlichkeit.

8. Station | KLAGEN
Jesus begegnet den weinenden Frauen

Wenn die Frucht des Leibes zur Last wird – was tun? Abschütteln? Unwillig ertragen? Sich erdrücken lassen? Wenn es kein Vergnügen ist, Kinder zu haben – was tun? Wozu Kinder? Zum Vergnügen? Zum Zeitvertreib? Zur Freude?
Freude lässt auch Lasten ertragen.

9. Station | GEFALLEN 3.0
Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz

Das ist schwer: Vergeben, ohne aufzurechnen. Vergeben, ohne nachzutragen. Vergeben, ohne zu demütigen. Wohl denen, die vergeben können – ihnen wird vergeben werden.

10. Station | AUSGELIEFERT
Jesus wird seiner Kleider beraubt

Es gibt ein Lachen, das aufbaut – und
ein Lachen, das zerstört: der Spott.
Es gibt eine Freude, die wohltut – und eine Freude, die wehtut: die Schadenfreude.
Wehe denen, die spotten. Wohl denen,
die trösten.

11. Station | HÄNGEN
Jesus wird ans Kreuz genagelt
Woran wir hängen: Am Leben? An der Gesundheit? Am guten Ruf? Am Schmuck? Am Besitz? Am Geld? An lieben Menschen? An alten Bräuchen? An schönen Dingen?
Woran wir hängen …
Wer hängt am Kreuz?

12. Station | STERBEN
Jesus stirbt am Kreuz

Gibt es Dinge, für die zu sterben es sich lohnt? Für Besitz? Für Ansehen? Fürs Vaterland? Für Ideale? Für die Wahrheit? Für die Gerechtigkeit? Für irgendwelche Menschen?
Oder sollten wir dafür nicht besser leben?
Wofür zu leben sich nicht lohnt, dafür lohnt es sich auch nicht zu sterben.

13. Station | MITLEIDEN
Jesus wird in den Schoß seiner
Mutter gelegt

Es gibt ein Mitleiden, das mehr ist als
Mitgefühl, als Rührung vor fremdem Leid;
bei dem Gedanken, es könnte meines sein.
Es gibt ein Mitleiden,
zornig vor unnötigem Leid,
mutig vor aufhebbarem Leid,
bedrückt vor auswegslosem Leid
– ein Mitleiden, das mitträgt und tröstet.

14. Station | HOFFNUNG
Jesus wird in das Grab gelegt

Es gibt solche, die den Sinn ihres Lebens
im Leben nach dem Tod suchen.
Es gibt solche, die den Sinn ihres Lebens im Leben vor dem Tod suchen.
Ich möchte den Sinn des Todes im Leben finden.

Aus: Du hörst mich an. Meditationen und Gebete.
Peter Paul Kaspar. Herder

Zum Kreuzweg

In den meisten katholischen Kirchen sind an den Seitenwänden gut sichtbar 14 Kreuzwegbilder angebracht. Mehr oder weniger kunstvoll stellen sie einzelne Szenen aus der Leidensgeschichte Jesu dar, angefangen von der Verurteilung durch Pilatus bis zur Grablegung. Bei Kreuzwegandachten gehen Gläubige durch die Kirche und bleiben vor jedem Bild stehen, sie machen „Station“, wie man sagt, und betrachten jede Szene im Gebet. Heute findet man die Bilder oft eng nebeneinander gehängt. Manchmal wird der Kreuzweg in der Kirchenbank sitzend oder kniend gebetet. Das war nicht immer so.

Seinen Ursprung hat der Kreuzweg im religiösen Leben der Christen in Jerusalem. Diese machten sich schon im Altertum immer wieder auf den Weg, um betend und singend die Orte des Leidens und Sterbens ihres Herrn nachzugehen. An diesen Prozessionen nahmen auch viele Pilger teil. Später baute man für jene Gläubigen, die nicht ins Heilige Land pilgern konnten, Kalvarienberge in ihrer Heimat oder richtete – gleichsam als Miniaturausgabe – Kreuzwegstationen in den Kirchen ein.

Inhalt und Zahl der Stationen variierten im Lauf der Geschichte. Die heute üblichen 14 Stationen verdanken wir dem spanischen Franziskanermönch Antonius Daza (17. Jh.). Weltweite Verbreitung erlangte diese Form durch den hl. Leonhard v. Porto Maurizio (1676–1751), ebenfalls Franziskanermönch und Volksmissionar in Italien.
Der Kreuzweg hat Höhen und Tiefen, harte, aber auch schöne Stationen, wo Jesus liebenden Menschen begegnet. Kreuz und Kreuzwegbilder zeigen uns auch die andere, die dunkle Seite des Menschseins. Und sie zeigen uns jenen Gott, der freiwillig mit uns auch ins Dunkel und durch das Dunkel geht – bis es licht wird.

Das Beten des Kreuzweges in der Fastenzeit hat den Sinn, dass wir uns an das Leiden von Jesus erinnern. Durch seinen Tod am Kreuz hat Jesus Leben geschenkt! Darum singen wir auch: „Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung!“ Im Kreuzweg Jesu erkennen wir aber auch unser eigenes Leben mit all
seinen Höhen und Tiefen. Da gibt es Stationen der Krankheit, Enttäuschung oder gar des Todes. Es gibt aber auch wohl welche des Glücks, wo uns Menschen begegnen, die uns lieben und uns helfen in der Liebe, Stationen der Freundschaft.

Karl Veitschegger

Gebete

Gebet zu Beginn
Herr Jesus Christus, unzählige Wege bist du in deinem Leben auf der Erde gegangen. Sie alle führten die Menschen ins Leben. Das Leben in Fülle war deine Mission und deine Aufgabe. So lernten Blinde neu zu sehen, Lahme konnten bei dir wieder ihres Weges gehen, und Tauben gingen die Ohren auf. Du warst der Versöhner und der Mahner des Friedens und der Gerechtigkeit.
Am Ende deines Lebensweges musstest du spüren, wie die Mächte dieser Welt regieren. Deine Botschaft wurde nicht verstanden und wurde so zur Gefahr für die Mächtigen der Welt.
Ungerechtigkeit und Leid, Schmerzen und Not begegneten dir auf deinem Kreuzweg. Das Kreuz auf deinen Schultern wurde so zum Zeichen für alle Schmerzen und alles Leid dieser Welt.
Wir gehen im Gebet mir dir.
Wir erkennen unsere eigenen Kreuzwege in deinem Kreuzweg.
Wir bitten dich:
Begleite uns auf allen unseren Wegen durch diese Welt, und lass nicht zu,
dass wir einander verlieren. AMEN.

Gebet zum Abschluss
Wenn wir leben – wie er lebte,
der uns den Weg voranging,
der von der Wahrheit sprach und uns sein Leben schenkte,
wenn wir leben – wie er lebte,
was könnte uns da noch ängstigen?
Wenn wir leiden – wie er litt, werden wir zuversichtlich sein, wie er war.
Wenn wir sterben – wie er starb, werden wir auferstehen, wie er auferstand.
In diesem Glauben haben wir Mut,
bleiben wir stark,
hoffen wir weiter.
In diesem Glauben sagen wir Dank,
dem, dessen Liebe uns leben lässt
in Krankheit und Trauer,
in Freude und Glück,
heute, morgen und immer. AMEN.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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