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Wo man singt, da lass dich nieder

Musik im Gottesdienst ist wie der Kren zur steirischen Osterjause – beides darf nicht fehlen. Doch Geschmäcker sind verschieden. Kirchenmusikreferent Michael Schadler und Musikerin Constanze Huber blicken kritisch auf die Texte von geistlichen Liedern.

„Näher, mein Gott, zu dir“
Es gibt Lieder, die erinnern an ein bestimmtes Ereignis oder rufen blitzartig ein Gefühl in einem hervor. Das kann schön sein. Muss aber nicht. Bei dem einen Lied drehen wir das Radio gern lauter, bei einem anderen lieber ab. Dass Musik eine besondere Wirkung auf Menschen hat, sind sich Michael Schadler, Kirchenmusikreferent der Diözese Graz-Seckau, und Constanze Huber, Mitbegründerin von „weil ma glaubn – Plattform für Glaubenskommunikation“, einig. Für das SONNTAGSBLATT werfen sie einen Blick auf die Texte von geistlichen Liedern. Der eine blickt auf das, was ihm wertvoll ist, die andere auf Gefahrenpotenziale von schwierigen Texten.

»Musik schenkt den von ihr transportierten Texten eine Klebkraft.«

Michael Schadler

ist Referent für Kirchenmusik der Diözese Graz-Seckau.

Ich muss gestehen, dass mir, wenn ich vom Sonntagsgottesdienst nach Hause gehe, meistens nicht die Predigtgedanken oder Worte aus den Schriftlesungen, sondern vielmehr einzelne Liedzeilen durch den Kopf gehen. Freilich bin ich als Kirchenmusiker beruflich vorbelastet, aber ich glaube, dass es nicht nur mir so geht. Denn Musik schenkt den von ihr transportierten Texten eine Klebkraft. Was wir uns einmal ins Herz gesungen haben, bleibt haften. So ist die Liedauswahl im Gottesdienst eine seelsorgerisch sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Es ist ratsam, sich dabei zu fragen: Hilft uns dieses Lied, hineinzuwachsen in einen unendlich liebenden Gott? Ich wäre nicht Kirchenmusiker geworden, gäbe es nicht unzählige Lieder aus allen Epochen, für die das zutrifft. Sie sind mir Wegbegleiter geworden.

Lieder als Wegbegleiter
Gesänge wie „Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr“ stärken mich in der Herausforderung, „die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang auszuhalten“. Lieder wie „Alles meinem Gott zu ehren“ helfen mir, die kleine Erzählung meines Lebens hineinzustellen in die große, sinnstiftende Erzählung Gottes mit uns Menschen. „Lobe den Herren“ und anderes Altbekanntes schenkt mir die Erkenntnis, meinen Glaubensweg nicht allein, sondern eingebettet in den Weg von vielen Generationen vor mir gehen zu dürfen. Und ab und zu mache ich die Erfahrung, dass sich mir ein Vers, mit dem ich lange nichts anfangen konnte, plötzlich erschließt. Das sind dann Lieder, die den Mut haben, nicht sofort verstanden zu werden. Doch sie bleiben haften und warten geduldig darauf, in uns zur Glaubenserfahrung werden zu dürfen.

»Gesprochenes Wort geht in den Kopf – gesungenes geht direkt ins Herz.«

Constanze Huber

ist Eventmanagerin und macht seit 20 Jahren moderne Kirchenmusik.

Das (Zitat oben) macht Kirchenmusik zu einem enorm kraftvollen Werkzeug. Daher muss ich sie verantwortungsvoller einsetzen. Durch diese emotionale Abkürzung fehlt ein wesentlicher intellektueller Filter. Sprachbilder über Gott und unsere Beziehung zu ihm werden dem Zuhörer ins Herz und dem Mitsingenden in den Mund gelegt. Glaube und das eigene Gottesbild sind etwas sehr Persönliches. Wenn ich selbst von meinem Glauben spreche, verwende ich Worte wie Liebe, geleitet sein, Vertrauen etc. Was mir dagegen nicht einfällt, sind Bilder, wie „durchbohrte Hände halten mich”, „every heart, longing for our king” oder auch „o Haupt voll Blut und Wunden”. Vieles steht auch zwischen den Zeilen, während der Text inhaltlich vertretbar wäre. Als Kirchenmusikerin bin ich dafür verantwortlich, Gott emotional erfahrbar zu machen, aber Menschen kein Gottesbild in den Mund zu legen, das ihnen nicht entspricht.

Dem Anlass angemessen entscheiden
Ich bin dafür, den breiten kirchenmusikalischen Schatz auszuschöpfen, den KomponistInnen über die Jahrhunderte auf der ganzen Welt gemeinsam geschaffen haben. Die Theologie dahinter hat sich aber über die Jahrhunderte verändert, und moderne christliche Lieder werden oft aus den unterschiedlichsten christlichen Konfessionen importiert, deren Theologie wir in manchem nicht teilen. Mein Beitrag zu diesem Schatz ist es, ihn kritisch zu hinterfragen und so zu verwenden, wie es für mich, die jeweilige Gemeinde und den Anlass authentisch und angemessen ist – und ihn bei Gelegenheit durch Ungeahntes zu erweitern.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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