Kunst-Aschermittwoch
Ein visuelles Gedicht

Der aus dem Baskenland stammende Künstler Alberto Lomas will mit seiner Kunst Menschen für globale Herausforderungen sensibilisieren. | Foto: Milatovic
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  • Der aus dem Baskenland stammende Künstler Alberto Lomas will mit seiner Kunst Menschen für globale Herausforderungen sensibilisieren.
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Der Kunst-Aschermittwoch in der Grazer Andräkirche und der QL-Galerie steht heuer im Zeichen von Migration und Klimakrise. Auszüge aus einem Interview mit dem Künstler.

Fastenzeit heißt Reduktion und Konzentration auf das Wesentliche. Eine Konzentration, die auch den Blick für die Probleme dieser Welt schärfen will. Der baskische Künstler Alberto Lomas beschäftigt sich schon seit längerer Zeit mit Flucht und Migration und der Klimakrise als den größten globalen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte. In der Fastenzeit-Installation für die Andräkirche mit Performance in der Aschermittwochsliturgie will er in einem Kirchenraum in der Vorbereitungszeit auf das Osterfest zu empathischer Aufmerksamkeit, vor allem aber zu gesellschaftspolitischem Handeln sensibilisieren. Alois Kölbl hat mit ihm über sein Projekt gesprochen.

Flucht und Migration und die Klimakrise verarbeitet der baskische Künstler Alberto Lomas in seiner Ausstellung zum Kunst-Aschermittwoch in Graz. | Foto: Milatovic
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Alois Kölbl: In deinem Projekt „Re(f)used“ in der Grazer QL-Galerie und der Fastenzeit-Installation in der Andräkirche verknüpfst du die Auseinandersetzung mit Flucht und Migration mit der Klimakrise. Wie gehst du als Künstler an diese emotional aufgeladenen und viel diskutierten Themenfelder heran?

Alberto Lomas: Die Gesamtidee dieses Projektes an zwei Orten ließe sich unter der Fragestellung „Words without Papers“ zusammenfassen. Die Klammern im Titel der Ausstellung verknüpfen gleichzeitig auch die beiden Themen der Ausstellung, die unmittelbar aufeinander bezogen sind: Klimawandel und Migration. In der Ausstellung werden juristische Texte mit den Rechten von Migrant:innen zu sehen sein, die wie in einer Kaskade von der Decke in den Raum des Lichthofes in der QL-Galerie fallen. Dazu kommen Texte vom "Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC)", dem UN-Panel, das sich mit Problemen der Klimakrise beschäftigt. Die Materialien für die Ausstellung sind recycled, im Wortspiel des Ausstellungstitels soll anklingen, dass sich das Problem von Refugees nur unter Einbeziehung der Herausforderungen des Klimawandels und der damit in Zusammenhang stehenden ökologischen und wirtschaftlichen Krise sinnvoll behandeln lässt. In der Ausstellung sind einerseits Wörter, die das Zusammenleben von Menschen und deren Grundrechte regeln, physisch präsent und zum anderen werden Schicksale von Menschen herein-geholt, die ohne Papiere, ohne offizielle Dokumente leben müssen.

Foto: Milatovic

Wörter fallen von oben in den Raum des Lichthofes und an den Wänden hängen Fotos, die ich an der Grenze zwischen Polen und Russland gemacht habe. Gesetze, die das Zusammenleben der Menschen regeln und zu verbessern versuchen, sind gleichzeitig auch der Grund, warum Grenzen existieren. In anderen Fotos sehen wir an Stacheldraht erinnernde Textbänder, die zu Ballen gebündelt wie die vertrockneten Sträucher erscheinen, die der Wind durch die Prärie treibt, wie wir das aus Wildwestfilmszenen kennen, in vertrockneten Seen oder vom Feuer verwüsteten Landschaften liegen. Auf den Bändern sind Texte von Expertenkommissionen über den Klimawandel, die sie für die Vereinten Nationen verfassten.

Foto: Milatovic

Im Raum hängen verwitterte Holzteile, die ich aus der Mur geborgen habe, in denen sich die Beschwernisse und Gefahren des Fluchtalltags bündeln. Diese Bild- und Textkonstellationen sollen Zusammenhänge zwischen Fluchtbewegungen und der Klimakrise aufzeigen. Ich verstehe das wie ein visuelles Gedicht. Am Beginn der Fastenzeit werden dann in einer Performance zunächst im multikulturellen Griesviertel die Wörter des Ausstellungstitels mit der physischen Präsenz von Migrant:innen und Asylsuchenden an markanten Punkten in den Stadtraum und im Anschluss daran in einer Performance im Rahmen der Aschermittwochsliturgie von mir mit Asche in den Kirchenraum geschrieben.

Kölbl: In deiner Kunst versuchst du die Grenze zwischen Kunst und Gesellschaft aufzulösen. Inwieweit kann Kunst einen Beitrag zur Lösung gesellschaftspolitischer Probleme leisten?
Lomas: Für mich funktioniert Kunst als Mittel zur Sensibilisierung für Probleme. Das sind in meinem Fall Migration, Klimawandel, oder die Grenze zwischen realer und digitaler Welt. In all diesen Themen- und Handlungsfeldern sind wir mit einer Fülle oft divergierender Informationen konfrontiert, die in verschiedenen Medien auf uns einprasseln und uns überfordern. Die Kunst ermöglicht einen anderen Zugang, eine andere Sichtweise der Realität. Kunst eröffnet über die intellektuelle Betrachtung hinaus auch eine Erfahrungswelt. Ich versuche also einen Raum zu öffnen, der jenseits der bloßen Übersetzung und Bedeutung von Wörtern steht.

Foto: Milatovic

Kölbl: Du stammst aus dem Baskenland und bist mit der Problemgeschichte deines Volkes aufge-wachsen. Inwiefern spielt das auch in deiner Kunst eine Rolle?
Lomas: Ein Werk meiner ersten Personale ist gerade in Bilbao in einer Ausstellung über baskische Kunst zu sehen. Mir ging es damals darum, wie das Leben in einer Situation von Gewalt die eigene Wahrnehmung verändert und mitbestimmt. Objektive Wahrnehmung und ein objektives Urteil sind in so einer Situation nicht mehr möglich. Mir ging es deswegen nicht darum Partei zu ergreifen, sondern zu zeigen, dass in einem Konflikt immer beide Seiten einen Anteil haben. Terrorismus hat es letztlich in diesem Konflikt von beiden Seiten gegeben. Genau diese Erfahrung half mir auch die Komplexität von Informationssystemen unterschiedlicher Art zu verstehen, die vordergründig Objektivität suggerieren, in Wahrheit die Wirklichkeit aber nicht neutral abbilden, sondern immer auch ein Bild von ihr konstruieren. Was man aus solchen Konflikten lernen kann, ist, dass man nicht einfach in Gute und Böse einteilen kann und wohl auch die Erkenntnis, dass es in jedem bewaffneten Konflikt immer nur Verlierer gibt.

Kölbl: In der Kirche St. Andrä wirst du mit deiner Kunst auf einen Sakralraum reagieren. Worin besteht für dich die Herausforderung, Kunst außerhalb eines Galerieraumes zu präsentieren? Hast du schon einmal in einer Kirche gearbeitet?
Es ist nicht das erste Mal, dass ich eine Installation in einem Kirchenraum realisiere, allerdings war es damals eine profanierte Kirche. Diesmal ist es ein Kirchenraum in Funktion. Ich kann also nur so auf den Raum reagieren, dass die liturgischen Feiern weiterhin möglich sind, auch wenn meine Intervention vielleicht in einem gewissen Sinn die Abläufe „stört“. Das kann aber nur in einem Dialog mit dem Raum geschehen und wird hoffentlich auch zu einem Dialog mit der Feiergemeinde führen. Es ist mir natürlich bewusst, dass in einem Kirchenraum auch Menschen mit einer zeitgenössischen Kunstintervention konfrontiert werden, die sie dort vielleicht gar nicht erwarten. Aber genau darin könnte auch der Mehrwert meiner Intervention zwischen Poesie, Spiritualität, Politik und physischer Erfahrung liegen und Gottesdienst- und Kirchenbesucher:innen dazu sensibilisieren, Probleme auch aus einer ganz anderen Perspektive zu betrachten.

Kölbl: Das Thema Flucht und Migration ist ein sehr emotional besetztes Thema, das unsere Gesellschaft zunehmend spaltet. Wenn sich ein zeitgenössischer Künstler mit ihnen beschäftigt, erwarten sich viele wahrscheinlich zunächst Provokation. Könnte Kunst auch einen Beitrag zur Deeskalation leisten?
Lomas: In seinem Buch „Die Angst vor den anderen“ hat der Soziologe Zygmunt Bauman 2016 angesichts der zunehmenden Hysterie und Panikmache im Umgang mit der Flüchtlingskrise in der Europäischen Union die Ursachen des Misstrauens gegenüber den anderen als den Fremden analysiert und Wege zu beschreiben versucht, wie Gelassenheit und Empathie eine Möglichkeit sein könnten, dieser Herausforderung auf der Grundlage humanistischer Werte begegnen zu können. Durch meine Arbeit in Ländern wie Südkorea, im irakischen Kurdistan oder in Marokko habe ich gelernt, mit Menschen mit unterschiedlichen kulturellen und sozialen Hintergründen zusammenzuarbeiten. Aus der konkreten Begegnung mit ganz unterschiedlichen, mir fremden Menschen und Kulturen, habe ich viele wertvolle Erfahrungen sammeln können. Das ist natürlich immer reziprok. Solche Erfahrungen tragen dazu bei, andere nicht zu stigmatisieren. Es geht dabei immer um Lernprozesse. Kunst ermöglicht es, Grenzen zu durchbrechen und zu überwinden. Kunst kann auch helfen, Migration nicht nur als Problem zu sehen, sondern als Chance und Herausforderung.

Wann und Wo: 
Ausstellung in der QL-Galerie, Leechgasse 24, 8010 Graz und Fastenzeit-Installation in der Andräkirche, Kernstockgasse 9, 8020 Graz, zu sehen bis Ostern.

Termin-Tipp: Kunst-Aschermittwoch mit Performance 14. Februar, 19:00 Uhr, Ändräkirche.

Näheres zur Ausstellung finden Sie hier.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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