Interview
Frieden braucht Engagement

Dr. Valentin Inzko, geb. 1949 in SveČe/Suetschach, studierte Rechtswissenschaften sowie Serbokroatisch und Russisch und absolvierte anschließend die Diplomatische Akademie in Wien. Nach Stationen im Außenministerium, bei der UNO und als österreichischer Botschafter war Inzko 2009 bis 2021 Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina. Bei der „Kirchenpressekonferenz“ der österreichischen Kirchenzeitungen in Tainach/Tinje Mitte Mai referierte er zur sicherheitspolitischen Situation am Westbalkan, zur Kärntner Diözesan-synode 1971/1972 und zur Zukunft der slowenischen Volksgruppe. | Foto: Haab
  • Dr. Valentin Inzko, geb. 1949 in SveČe/Suetschach, studierte Rechtswissenschaften sowie Serbokroatisch und Russisch und absolvierte anschließend die Diplomatische Akademie in Wien. Nach Stationen im Außenministerium, bei der UNO und als österreichischer Botschafter war Inzko 2009 bis 2021 Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina. Bei der „Kirchenpressekonferenz“ der österreichischen Kirchenzeitungen in Tainach/Tinje Mitte Mai referierte er zur sicherheitspolitischen Situation am Westbalkan, zur Kärntner Diözesan-synode 1971/1972 und zur Zukunft der slowenischen Volksgruppe.
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Valentin Inzko, der ehemalige Hohe Repräsentant von Bosnien-Herzegowina, über die Kärntner Diözesansynode 1971/1972, ihre Bedeutung für den Frieden in Kärnten und was wir aus der Entwicklung in Bosnien lernen können

Ihr Vater Valentin Inzko sen. hat gemeinsam mit Ernst Waldstein-Wartenberg die Kärntner Diözesansynode wesentlich mitgestaltet. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Ich habe an der Synode als Übersetzer teilgenommen. Kurz vorher hatte Graz eine Diö-zesansynode durchgeführt, und Studentenseelsorger Egon Kapellari hatte uns ermutigt,
dem Studentenvertreter bei der Synode unsere Ideen mitzugeben. Als mein Vater mich dann fragte, was eine Synode ist, konnte ich ihm von dem Erfahrenen berichten, von Aufbruch, neuen Horizonten und Mitarbeit aller.

Die Synodenpapiere halten zum Punkt „Friedensstiftung und Friedenssicherung“ fest, dass er „die heftigsten und leidenschaftlichsten Diskussionen aller drei Synodensessionen“ auslöste.

Ja, das war sehr heiß. Zum Entschärfen der Situation wurde sogar darüber nachgedacht, diesen Tagesordnungspunkt abzusetzen.
Und somit auch die Geschichte der Versöhnung mit den Kärntner Slowenen. Es war alles auf der Kippe, aber wir haben zugleich gespürt, dass der Heilige Geist am Werk war. Es war ja das Jahr des Ortstafelsturms, die Atmosphäre war aufgeheizt. Da haben wir gesagt: Die Kirche muss ein Zeichen setzen, dass es auch anders geht.

Im Synodenpapier wird unter dem Paragrafen „Notstände und Hilfen“ als ein für Kärnten spezifischer Notstand aufgeführt: „das nicht bewältigte Zusammenleben von Deutschen und Slowenen“. Schlussendlich hat man sich intensiv damit befasst.

Ich sehe das wie einen Phantomschmerz, den man spürt, wenn ein Körperteil fehlt.
Wir sind ja im Sinne des hl. Paulus Glieder der Kirche, und wenn ein Glied fehlt, leiden alle. In Kärnten war einmal ein Drittel der Bevölkerung slowenischer Sprache, man hatte ein eigenes Staatswesen, die Bauern haben den Kärntner Herzog in demokratischer Weise selbst gewählt, bis 1414 in slowenischer Sprache. Thomas Jefferson hat sich bei seiner neuen amerikanischen Verfassung u. a. auch von dieser direkten Herzogwahl inspirieren lassen.

Wie war es möglich, in diesem tiefsitzenden Konflikt zu einer wegweisenden Lösung zu finden?

Bei der Synode hat, glaube ich, mein Vater das Eis gebrochen, indem er sich für das Leid entschuldigt hat, das die Slowenen den Deutschen zugefügt haben. Das war keine strategische Entschuldigung, wie manche gemeint haben, mein Vater hat öfter mit mir darüber gesprochen, es war aus christlichem Prinzip. Es gab ja Gräueltaten, die von Kärntner Slowenen verübt worden waren. Daraufhin hat sich auch der deutschsprachige Villacher Rechtsanwalt Helmut Ebner entschuldigt für das Leid, das den Slowenen in den letzten 800 Jahren zugefügt wurde. Das war ein historischer Schritt, und dadurch kam das Dokument über das Zusammenleben der Deutschen und Slowenen in der Diözese Gurk zustande. Slowenisch wurde in der Kirche offiziell Amtssprache. Das Eis war gebrochen. Danach kam dann die Knochenarbeit von Mediation und Versöhnung, wenn es in Pfarren zu unschönen Szenen kam. Der deutsch-slowenische Koordinationsausschuss hat da nachhaltige Arbeit geleistet. Inzwischen hat sich da auch gesellschaftlich sehr viel Gutes entwickelt, aber das Eis hat die Kirche gebrochen.

Sie waren 12 Jahre lang als Hoher Repräsentant in Bosnien-Herzegowina. Auch dort wären solche Durchbrüche ein Segen. Was hilft uns, die Situation in der Region zu verstehen?

Das geht am besten mit ein paar Jahreszahlen. Bosnien ist der älteste urkundlich erwähnte Staat am Balkan, es gibt eine fürstliche Urkunde aus dem Jahr 1189. Das nächste wichtige Jahr ist 1463, als das Osmanische Reich Bosnien erobert hat. 1878, am Berliner Kongress, wurde Bosnien unter österreichische Verwaltung gestellt. Durch diese Zeit ist Österreich mit dem Land sehr verbunden.
Es war vielleicht die einzige „Kolonie“ der Welt, die nicht ausgenutzt, sondern stark gefördert wurde. Eine moderne Verwaltung wurde eingeführt, das Grundbuch, Infrastruktur aufgebaut, die erste elektrische Straßenbahn, früher als in Wien, und vieles mehr. 1918 ging Bosnien im SHS-Staat (Staat der Slowenen, Kroaten und Serben) auf. Auch im Jugoslawien unter Tito gab es zwar Serben und Kroaten, aber die Bosnier hatten keine eigene Nationalität. Erst 1974 wurde ihnen eine eigene Volkszugehörigkeit zugestanden. Mit der Unabhängigkeitserklärung Bosniens 1992 begann dann dieser fürchterliche Krieg.

Was können wir aus der Entwicklung in Bosnien lernen?

Damals hat die internationale Gemeinschaft erst ernsthaft eingegriffen, als es schon 100.000 Kriegstote gab, erst als das Massaker von Srebrenica mit 8.000 Ermordeten geschehen war. Natürlich, der Konflikt war ein kleinerer als heute in der Ukraine, aber man wollte von außen nicht helfen. Man hat sogar ein Waffenembargo eingeführt. In der Ukraine ist es, Gott sei Dank, nicht so; man hilft ihnen, ihre Heimat zu verteidigen. Nach vier Jahren wurde der Krieg in Dayton beendet unter massiver ausländischer Präsenz. Im Friedensvertrag wurden zwei Dinge erreicht: Der Friede wurde wiederhergestellt, und es wurden die Staatsgrenzen Bosniens gerettet. Innerhalb dieses Staates gibt es zwei sog. Entitäten. Ihr Status ist vielleicht vergleichbar mit dem des Freistaats Bayern innerhalb Deutschlands. Der Gesamtstaat, die Entitäten und die Kantone haben je eigene Regierungen. Das kann sehr gut funktionieren, wenn es Vertrauen gibt und die Menschen nicht streiten. Es kann aber auch schwierig werden, wenn, wie vor einem Jahr, die Serben von einer eigenen Armee reden oder von eigener Steuerhoheit.

Momentan ist es eher wieder unruhig geworden?

Die ersten Jahre, ab 1995, war die internationale Gemeinschaft sehr robust präsent, auch militärisch, und hat eingegriffen. Aus drei Fahnen wurden eine, drei Nummerntafeln sind einer einheitlichen gewichen. Eine einheitliche Steuerbehörde wurde geschaffen, eine Grenzpolizei, eine gemeinsame Nationalhymne – wenigstens deren Melodie, ein Text fehlt noch. Eine gemeinsame Armee. Nach 12 Jahren ging man zu einer neuen Phase über, der lokalen Verantwortung. Die Philosophie war gut, aber es lief nicht gut; seitdem entwickeln sich wieder neue Spannungen. Wir sollten uns in Bosnien viel stärker engagieren, die Sicherheit der EU entscheidet sich nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Bosnien. Eine realistische EU-Beitrittsperspektive – unter Erfüllung der entsprechenden Bedingungen natürlich – anstelle des bisherigen Hinhaltens und Vertröstens wäre sehr hilfreich.

Sie sehen also durchaus Möglichkeiten für eine positive Entwicklung?

Das Problem ist bei den Politikern. Richtig regiert, könnte Bosnien eine kleine Schweiz sein. Die Kinder von Moslems und Christen spielen zusammen, die einfachen Menschen haben keine Probleme miteinander. Es gibt keine Rachemorde. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass ein Moslem eine katholische Kirche renoviert. Um die serbisch-orthodoxe Kathedrale in Mostar wieder aufzubauen, haben viele gespendet, auch Katholiken, auch Moslems. Nachbarschaft ist eben etwas Heiliges. Es gibt viele Nelson Mandelas in Bosnien.

Interview: Georg Haab

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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