Leopold Städtler
Erinnerungen eines Zeitzeugen

Erster Hammerschlag zur Sanierung des Diözesanmuseums durch dessen Kustos Leopold Städtler, 2002. Für viele seelsorgliche Initiativen hat Städtler so etwas wie den „ersten Hammerschlag“ gemacht. Ganz besonders auch für ein neues Verhältnis zwischen Kirche und Arbeiterschaft. | Foto: Privatarchiv Städtler
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  • Erster Hammerschlag zur Sanierung des Diözesanmuseums durch dessen Kustos Leopold Städtler, 2002. Für viele seelsorgliche Initiativen hat Städtler so etwas wie den „ersten Hammerschlag“ gemacht. Ganz besonders auch für ein neues Verhältnis zwischen Kirche und Arbeiterschaft.
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Leopold Städtler, 97-jähriger Priester der Diözese Graz-Seckau, erhellt fast 100 Jahre Leben in der Steiermark und in der Kirche mit seinen persönlichen Erfahrungen.

In den schwierigen Zeiten der Zwischenkriegszeit und des Krieges haben ihn Elternhaus und Vorbilder geprägt. Als Kaplan und Pfarrer hat er immer den Kontakt zu den Menschen gepflegt und vor allem zwischen Arbeiterschaft und Kirche Brücken gebaut. In seiner Zeit als Generalvikar an der Seite von Bischof Weber wurden neue Wege für die Seelsorge beschritten. Im Ruhestand blickt er dankbar zurück und bleibt weiter aktiv.

Leopold Städtler hat nicht nur eine wertvolle Briefmarkensammlung und ein Privatarchiv an Fotos. Ein besonderer Schatz sind seine Erinnerungen, aus denen er spontan und ausführlich erzählen kann. Michaela Sohn-Kronthaler, Leiterin des Instituts für Kirchengeschichte und Kirchliche Zeitgeschichte der Theologischen Fakultät Graz, hat zusammen mit ihrem Assistenten Markus Zimmermann die Anregung von Pfarrer Matthias Keil und Kaplan Dominik Wagner aufgegriffen, diesen Schatz an Erfahrungen zu heben. In dem von ihr verfassten Buch schildert sie die Lebenszeit Städtlers und baut seine persönlichen Erinnerungen und Sichtweisen ein, die er in Interviews preisgegeben hat. Die Entwicklung in unserem Land und in unserer Kirche erzählt das Buch verbunden mit dem Erleben eines Zeitzeugen.

„Meine Eltern haben mein Leben durch ihr selbstverständliches christliches Lebensbeispiel sehr geprägt“, erzählt Leopold Städtler. Er wurde am 23. April 1925 in Ligist geboren. Dorthin waren seine Eltern Leopold und Maria Städtler aus dem Pöllauertal gezogen und führten eine kleine Landwirtschaft, eine Gastwirtschaft und eine Trafik. In Ligist besuchte Leopold Städtler, der zwei Priester-Onkel hatte, die Volksschule. Auch sein älterer Bruder Johannes wurde Priester.

Besonders geprägt haben ihn die Kapläne, vor allem Johann Lackner und Franz Derler. „Mit Kaplan Derler haben wir praktisch unser Leben geteilt. Wir waren in seiner Bude daheim, haben mit ihm Fußball gespielt, sind mit ihm zu den Christenlehren gegangen, und er war vor allem gegen die Nationalsozialisten aktiv.“ In der NS-Zeit war die Kirche ein Ort des Widerstandes. Städtler erlebte in dieser schweren Zeit Schikanen, etwa wegen eines Radausfluges mit seinen Ministrantenkollegen, aber auch erfolgreiches Austricksen von NS-Leuten. Die Kapläne schickten die Jugendlichen in die Dörfer, um die Leute zu einer „besonderen Predigt“ am Sonntag zusammenzurufen. In Klagenfurt war Städtler 1943 von Andreas Rohracher beeindruckt: „Der Bischof hat eine so großartige Predigt gehalten, da haben wir uns gedacht, wenn der jetzt sagt: Kommt, Burschen, marschieren wir los!, wir wären losmarschiert.“

Nach der Auflösung des Bischöflichen Knabenseminars durch die Nationalsozialisten besuchte Städtler das Akademische Gymnasium in Graz – als Fahrschüler täglich mit dem Zug. Als solcher konnte er auch die Familie des späteren Bundeskanzlers Alfons Gorbach, der damals im KZ einsaß, mit von daheim mitgebrachten Lebensmitteln unterstützen.Leopold Städtler nimmt die Leserinnen und Leser des Buches mit in seinen Kriegseinsatz und den abenteuerlichen Rückzug aus Finnland nach Norwegen. Eine erste Erfahrung der dann ins befreite Österreich Heimgekehrten war, dass sie im Zug von Bruck nach Graz Strafe zahlen mussten, weil sie keine Fahrkarte hatten lösen können.

Das Studium der Theologie war für die aus der Front Heimgekehrten nicht immer hilfreich für ihr späteres Wirken. Auch im Priesterseminar wurde unterschiedlich mit ihnen umgegangen. Die Kameradschaft unter ihnen war aber vorbildlich. Als etwa der Regens einen Kollegen entlassen wollte, reagierte der ganze Jahrgang: Dann gehen wir auch.

„Eine große Frage als Theologe war für mich, im Kriegseinsatz jemanden getötet zu haben. Wir mussten auf weite Entfernung schießen, wussten aber nie, ob wir jemand getroffen hatten. Bei Exerzitien habe ich das mit einem Jesuiten besprochen, der mir sagte: Was du nicht weißt, soll dich nicht beunruhigen. Lege dein Leben mit Vertrauen in die Barmherzigkeit Gottes. – Diese Worte gaben mir Trost und innere Sicherheit.“


IM ORIGINALTON

Leopold Städtler fasst seine Lebens-und Glaubenserfahrung in einem positiven Ausblick zusammen. Ein Priester, der ermutigt.

Ich glaube, dass es positiv weitergehen wird“

Leopold Städtler ist hinsichtlich der Zukunft der Kirche und der Weitergabe
des Glaubens optimistisch:

„Ich glaube, dass es positiv weitergehen wird. Es gibt wahnsinnig viele suchende Menschen. Die gibt es in jeder Pfarre. Seit dem Jahr 1997 bin ich fast nur in jenen Pfarren auf Aushilfe, in denen es keinen Pfarrer vor Ort mehr gibt, Jahrzehnte schon. Aber überall gibt es einen kleinen Kern von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, einige Familien, die das pfarrliche Leben zusammenhalten, die sich gegenseitig ausreden, wie und was sie machen. Nur staunen kann ich, was ich da oft immer wieder erlebe: Auf einem Papier steht die Gestaltung der Messfeier, wer Lektorin oder Lektor ist, wer für Kirchenreinigung oder Schmuck zuständig ist usw. Diese Ehrenamtlichen brauchen niemand, der erklärt, was ein Ehrenamtlicher ist und wie sie oder er das Ehrenamt auszuführen hat. Entscheidend ist, gut im Pastoralteam eingebunden zu sein und von dort auch Hilfe zu bekommen, wenn sie eine brauchen.

Und es gibt lustige Sachen: Die Ministrantenkästen in vielen kleinen Pfarren waren nie so sauber wie jetzt, die Mädchen und Buben noch nie so schön angezogen. Warum? Weil Frauen, die selbst unter den ersten Ministrantinnen waren, sagen: ‚Das können wir, das machen wir.‘
Und die schauen auf die Ministrantengruppen, wer hätte das vor zehn oder zwanzig Jahren gedacht? Na, da bin ich schon überzeugt, der christliche Glaube, der geht nicht unter …

Ich bin dankbar für alles, was ich als Priester erlebte, wo immer ich gewesen bin. In Mureck war die Kirche immer voll, in Murau hätten immer noch hundert Leute Platz gehabt. Immer hatte ich das Gefühl, reden kann ich mit allen, und ich versuchte einfach, zu leben wie sie,
ich gehörte zu ihnen. Mehr als 70 Jahre Priester sein zu dürfen – das ist einfach
ein Geschenk.“

Infobox
Michaela Sohn-Kronthaler / Markus Zimmermann, Mit den Menschen leben. Leopold Städtler. Ein Zeitzeuge, Styria Verlag, 288 Seiten, 30 Euro, ISBN 978-3-222-13721-1.

Brückenbauer zur Arbeiterschaft

In Pfarren und Diözese. Leopold Städtler als Seelsorger.

Nach der Priesterweihe 1950 wirkte Städtler als Kaplan in Mureck, Murau, Fohnsdorf und Judenburg-St. Nikolaus. Vor allem in der Obersteiermark konnte die Seelsorge nicht auf „Masse“ ausgerichtet sein. Für Städtler waren die persönliche Begegnung, das Hineinkommen in die Familien und Arbeitswelten entscheidend. Mit der Linie der KAJ (Katholische Arbeiterjugend) und ihres Begründers Joseph Cardijn fand er sein Konzept für die Seelsorge. Und im Zweiten Vatikanischen Konzil. Für Cardijn war der junge Arbeiter, die junge Arbeiterin mehr wert als alles Gold der Erde. Für das Konzil war die Taufe die Berufung zum Christsein.
In seinen Pfarren suchte Städtler diese Art von Seelsorge umzusetzen. Ein offener Pfarrhof war ihm dafür besonders wichtig, aber auch ein von allen spürbar gemeinsam gefeierter Gottesdienst und gemeinsame Unternehmungen.

In Judenburg baute er dann selber eine neue Pfarre im vor allem von Arbeitern bewohnten Ortsteil auf: Judenburg-St. Magdalena. Eine aus Erster Republik und Ständestaat herrührende antikirchliche Stimmung zeigte sich ihm manchmal brutal. Kirchliche Organisationen, auch aus der Katholischen Aktion, wurden als Vorfeldorganisationen der ÖVP und Arbeiterfeinde betrachtet. Doch auch da gelang eine Änderung. Mit anderen Seelsorgern wurde, auch gegen kirchliche Widerstände von oben, der Arbeitskreis für Industrieseelsorge gegründet. Diskussionen mit politischen Parteien und Gewerkschaft bauten Schritt für Schritt Vorurteile ab.

1970 holte Bischof Johann Weber seinen Studienkollegen Leopold Städtler zuerst vorübergehend, dann endgültig in den Dienst der Diözese nach Graz und ernannte ihn 1976 zum Generalvikar. Städtler erzählt, wie neue Akzente in die Seelsorge kamen: Mitbestimmung durch Pfarrgemeinderäte und Diözesanrat. Neue seelsorgliche Berufe durch Pfarrschwestern, Pastoralassistentinnen und -assistenten und Ständige Diakone. In manche Pfarren ohne Priester am Ort kamen Ordensschwestern in den Pfarrhof. Städtler bezog immer die Bürgermeister in eine solche Neuerung ein. Die extreme Gruppenbildung unter den Priestern nach dem Konzil war eine schmerzliche Erfahrung. Die Konzilsreformen überforderten die einen, den anderen gingen sie zu wenig weit und zu langsam. Den Steirischen Katholikentag 1981 erlebte Städtler als Wendepunkt zu mehr Gemeinsamkeit.

Eine Erfahrung des Bergsteigers und Wanderers Leopold Städtler hilft wohl auch in der Seelsorge weiter: „Die Freude, es geschafft zu haben, gibt neue Kraft für den Alltag.“

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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