Plädoyer für die Zukunft | Frage 4
Rettet Schönheit die Welt?

Bevor die Wirklichkeit ausschließlich als Idylle erlebt wird, ermuntert Hans Putzer in seinem Plädoyer: „Wagen wir als Kirche wieder mehr herausfordernde Schönheit, und verzichten wir dafür auf hübsche Behaglichkeit!“ | Foto: istock.com
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  • Bevor die Wirklichkeit ausschließlich als Idylle erlebt wird, ermuntert Hans Putzer in seinem Plädoyer: „Wagen wir als Kirche wieder mehr herausfordernde Schönheit, und verzichten wir dafür auf hübsche Behaglichkeit!“
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Warum denn gleich die ganze Welt allein retten?

In acht Plädoyers deutet Hans Putzer zeitdiagnostisch diese Fragen ein weiteres Mal. Er war zwischen 2009 und 2012 Präsident der Katholischen Aktion Steiermark und von 2010 bis 2018 Direktor im Bildungshaus Mariatrost. Seit 2018 arbeitet er im Bürgermeisteramt der Stadt Graz und ist unter anderem für die Bereiche Menschenrechte, Religionsgemeinschaften und Bürgerbeteiligung zuständig.

Hand aufs Herz, liebe Leserinnen und Leser: Die Frage dieser Woche „Rettet Schönheit die Welt?“ lässt wohl die meisten von uns zuerst über „Schönheit“ nachdenken. Stünde stattdessen „Achtsamkeit“, „Empathie“, „Verantwortung“, „Glaube“ oder gar „Liebe“ in der Frage – gekauft. Aber ausgerechnet Schönheit?
Beginnen wir vielleicht doch besser mit der „Rettung der Welt.“ Dieses Thema hat Konjunktur. Da waren wir in meiner Jugendzeit doch noch irgendwie bescheidener. Wale vor dem Aussterben, Wälder vor dem Versauern oder Wiesen vor den Einkaufszentren zu retten, damit waren wir vollauf ausgelastet.
Heute müssen es schon zumindest das Weltklima, die Weltwirtschaft oder der weltweite Hunger sein. Und das ist auch gut so, sehr gut sogar! Doch mit den Ansprüchen sind auch die Ohnmachtserfahrungen gewachsen. Oder anders gesagt: Die Sicht- und Erfahrbarkeit unserer Rettungsbemühungen ist oft deprimierend enden wollend.
Höchste Zeit, die Bibel aufzuschlagen: „Unser Leben währt siebzig Jahre, und wenn es hochkommt, sind es achtzig“, heißt es im Psalm 90, und bei Markus (8,36) und Matthäus (16,26) finden wir gleichlautend: „Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben verliert?“
Früher einmal wurde dieser Vers noch anders übersetzt: „Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber Schaden leidet an seiner Seele?“ Peter Handke hat diesen Gedanken in einem seiner frühesten Texte auf den Kopf gestellt: „Was nützt es dem Menschen, wenn er an der Seele gewinnt, an der Welt aber Schaden leidet?“ Die Kritik des späteren Literaturnobelpreisträgers ist offensichtlich: Ichstärkung zu Lasten der Welt, das geht gar nicht! Und um den gerade erst zitierten Psalmisten nicht ganz aus den Augen zu verlieren, wie mit all dem leben angesichts unserer Vergänglichkeit?

Glaubens-Gemeinschaft
In den mittelalterlichen „Bauhütten“ wusste man ganz genau, wenn mit der Errichtung eines großen Doms begonnen wurde, dass man die Fertigstellung kaum erleben wird können. Das Werk wird erst im gemeinschaftlichen Tun Wirklichkeit. Und wo der Glaube zur existenziellen Herausforderung wird, braucht er ebenso Gemeinschaft und wird zugleich aber auch zum Erfahrungsort unserer Grenzen. Für Hans Urs von Balthasar, der uns wohl für immer mit seinem Nachdenken über ästhetisch-religiöse Fragen in Erinnerung bleiben wird, ist das Schöne als Zeichen des Göttlichen an einer ebensolchen Grenze zu finden.
Petra van der Heide, Harfenistin des Concertgebouw-Orchesters in Amsterdam, hat über den verstorbenen Dirigenten Mariss Jansons gesagt: „Er wollte an den Rand des Abgrunds, wo die Musik am schönsten ist.“ Und bei Rainer Maria Rilke heißt es in der ersten Duineser Elegie: „Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen.“ Mit dem Schrecken meint er wohl jenes Gegenüber, das wir noch so schön im Wort „Ehr-Furcht“ finden.
Diese Schönheit gehört untrennbar zu unserem Glauben, und so lautet mein viertes Plädoyer: Wagen wir als Kirche wieder mehr herausfordernde Schönheit, und verzichten wir dafür auf hübsche Behaglichkeit!

Acht Fragen
Jubiläen zu begehen hat nur Sinn, wenn zugleich „nach vorne“ gedacht wird. So hat auch unsere Diözese anlässlich des 800-Jahr-Jubiläums 2018 in einem breiten Diskurs acht Fragen unter das Motto „Glauben wir an unsere Zukunft?“ gestellt.
>Wollen wir noch selber denken?
>Ist Armut unfair?
>Was würdest Du morgen zurücklassen?
>Rettet Schönheit die Welt?
>Wo brauchen wir Grenzen?
>Wer hat die richtige Religion?
>Muss ich heute Angst haben?
>Wie viel Macht hat eine schwache Kirche?

Die Serie wird begleitet durch die Online-Kolumne „Mitten im Leben“, in der Menschen aus ihrem Alltag im Zusammenspiel mit der jeweiligen Frage berichten. – www.katholische-kirche-steiermark.at/mittenimleben

Bevor die Wirklichkeit ausschließlich als Idylle erlebt wird, ermuntert Hans Putzer in seinem Plädoyer: „Wagen wir als Kirche wieder mehr herausfordernde Schönheit, und verzichten wir dafür auf hübsche Behaglichkeit!“ | Foto: istock.com
Hans Putzer | Foto: Kanizaj
Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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