Plädoyer für die Zukunft | Frage 2
Ist Armut unfair?

Caritas – sie ist das soziale Antlitz der Kirche. Eigentlich ist sie noch ziemlich jung. Historisch hat Kirche immer zu wenig und doch auch viel für „die Armen“ getan. Wie? Und wie tut sie es heute? Wie reich muss Kirche dabei sein, senn sie Armen helfen will?
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  • Caritas – sie ist das soziale Antlitz der Kirche. Eigentlich ist sie noch ziemlich jung. Historisch hat Kirche immer zu wenig und doch auch viel für „die Armen“ getan. Wie? Und wie tut sie es heute? Wie reich muss Kirche dabei sein, senn sie Armen helfen will?
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Machiavelli andersrum


In acht Plädoyers deutet Hans Putzer zeitdiagnostisch diese Fragen ein weiteres Mal. Er war zwischen 2009 und 2012 Präsident der Katholischen Aktion Steiermark und von 2010 bis 2018 Direktor im Bildungshaus Mariatrost. Seit 2018 arbeitet er im Bürgermeisteramt der Stadt Graz und ist unter anderem für die Bereiche Menschenrechte, Religionsgemeinschaften und Bürgerbeteiligung zuständig.

Vielleicht kennen Sie diesen – zugegeben halblustigen – Witz: Ein Österreicher überquert mit seinem bei solchen Anlässen sichtlich unvermeidlich schwarzen Koffer die Grenze in die Schweiz und sucht eine Bank in St. Gallen auf. Unsicher nach links und rechts blickend, flüstert er dem Bankangestellten entgegen: „Ich möchte eine Million Euro veranlagen.“ Darauf der Mann hinterm Schalter mit lauter Stimme: „Sie müssen nicht flüstern, Armut ist in der Schweiz keine Schande.“
„Ist Armut unfair?“ war die zweite Frage zum Diözesanjubiläum. Ich hoffe, sie wurde seither in vielen Seminaren als Musterbeispiel für „tendenzieller geht’s wohl kaum“ verwendet. Das ist keine Frage, sondern eine Zumutung. So, wie sie hier gestellt wird, kann sie ja nur mit „ja“ beantwortet werden, weil jedes „nein“ sofort zum Ausdruck sozialer Eiseskälte gefriert. Eine Ja-Nein-Entscheidungsfrage, die vorgibt, einen Gerechtigkeitsdiskurs in die Wege leiten zu wollen, desavouiert sich selbst, indem sie nur eine der beiden Antwortmöglichkeiten offenlässt. Diktat statt Diskurs, sozusagen. Weil sinnvollerweise niemand für „Armut“ oder „Ungerechtigkeit“ sein kann, bleibt unbemerkt, dass wir oft beide Begriffe als ideologische Konstrukte verwenden. Aber natürlich macht es die Sache auch nicht einfacher, dass es beides realiter gibt und beides selbstredend bekämpft werden muss.

Wann ist man arm?
In Österreich ist man ganz offiziell arm, wenn ein Haushalt über nur 50 Prozent oder weniger des so genannten „Medianeinkommens“ verfügt. Bei diesem „mittleren Einkommen“ – nicht zu verwechseln mit dem „durchschnittlichen Einkommen“ – liegt man genau bei jener Einkommenshöhe, von der aus die Zahl der Haushalte mit niedrigerem Einkommen gleich groß ist wie die Zahl mit höherem Einkommen. Armut ist in dieser – auch international gebräuchlichen – Definition somit relativ. Das hat beispielsweise dazu geführt, dass in Irland während der Wirtschaftskrise von 2008, einem Land, das davon besonders hart betroffen war, die Zahl der statistisch definiert armen Menschen zurückgegangen ist, weil die davor „Reichen“ signifikant stärker von diesen Entwicklungen betroffen waren als die „Armen“. Was hier wie eine Laune des statistischen Schicksals klingt, ist aber letztlich Abbild einer Ideologie, die notorisch Gleichheit mit Gerechtigkeit verwechselt, die Wohlstand über alternativlose Umverteilung und nicht durch die Entwicklung leistungs- und wettbewerbsfreundlicherer Strukturen in Bildung, Wirtschaft, aber auch in den sozialstaatlichen Maßnahmen schaffen will.
Sichtlich bestens an Machiavelli geschult, versuchen politische, mediale, aber auch kirchliche Gruppen mit einer Instrumentalisierung von Armut öffentliche Deutungsmacht zu erreichen.
Wer das Modell des europäischen Sozialstaates langfristig sichern will, und das ist mein zweites persönliches Plädoyer in dieser Reihe, muss die reale Armut bekämpfen und vor allem verstehen, dass eine paternalistische, bevormundende Sozialpolitik kein Zukunftskonzept ist. Der vorvorletzte rote Bundeskanzler hat übrigens noch vom Ziel einer „solidarischen Hochleistungsgesellschaft“ gesprochen.

Acht Fragen
Jubiläen zu begehen hat nur Sinn, wenn zugleich „nach vorne“ gedacht wird. So hat auch unsere Diözese anlässlich des 800-Jahr-Jubiläums 2018 in einem breiten Diskurs acht Fragen unter das Motto „Glauben wir an unsere Zukunft?“ gestellt.

>Wollen wir noch selber denken?
>Ist Armut unfair?
>Was würdest Du morgen zurücklassen?
>Rettet Schönheit die Welt?
>Wo brauchen wir Grenzen?
>Wer hat die richtige Religion?
>Muss ich heute Angst haben?
>Wie viel Macht hat eine schwache Kirche?

Die Serie wird begleitet durch die Online-Kolumne „Mitten im Leben“, in der Menschen aus ihrem Alltag im Zusammenspiel mit der jeweiligen Frage berichten. – www.katholische-kirche-steiermark.at/mittenimleben

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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