Mutworte - Christa Carina Kokol
Vom Winde verweht

Foto: Neuhold

Zwei Jünger gingen … oder zwei Menschen wie wir. Da kommt ein Dritter hinzu. In aufgeladener Stimmung gibt es gröbere Meinungsverschiedenheiten, und der Dritte wird von den anderen verbal verletzt. Er ist zu Recht gekränkt und schreibt mit dem Finger in den Sand: „Heute haben mich meine Weggefährten tief verletzt.“ Doch die drei müssen den Weg gemeinsam fortsetzen. An einer steinigen Stelle stürzt der vorhin Gekränkte und ist nicht mehr fähig, allein den Weg fortzusetzen. Seine Weggefährten richten ihn auf, stärken ihn mit ihrem eigenen Proviant und stützen ihn auf dem weiteren Weg. Wieder auf den Beinen, nimmt der Mann einen Stein und ritzt folgende Worte hinein: „Heute haben mich meine Weggefährten aufgerichtet und gestärkt.“

Die beiden sind verwundert: „Als du von uns beleidigt wurdest, hast du deine Worte in Sand geschrieben. Deinen Dank ritzt du in Stein?“ Da antwortet der Dritte: „Wenn uns jemand Unrecht tut, sollen wir unsere Enttäuschung und Kränkung in den Sand schreiben, damit der Wind des Verzeihens die Worte irgendwann wieder zum Verschwinden bringt. Wenn uns aber jemand Gutes tut, sollen wir unsere Freude und Dankbarkeit in Stein gravieren, damit kein Wind sie je mehr löschen kann.“

„Der Mensch übersteigt um ein Unendliches den Menschen“, erkennt der bedeutende Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal. Indem der Mensch fähig ist, über sich hinauszuwachsen, kann er wahrhaft Mensch werden. „Zwei Jünger gingen …“ Ein Erahnen von Auferstehung.

Christa Carina Kokol
ist dipl. psychotherapeutische Beraterin in Logotherapie und Existenzanalyse nach Viktor E. Frankl. 

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ