Positionen - Leopold Neuhold
Kaiser und Pöbel

„Der neue Mitarbeiter macht einen recht intelligenten Eindruck!“, bemerkt der Besucher anlässlich eines Betriebsbesuchs. Darauf der Betriebsinhaber: „Lassen Sie sich nicht täuschen, er simuliert!“
Wie oft wählen wir den Weg der Abwertung des anderen, um vielleicht selbst besser dazustehen! Für uns ist es oft schwer zuzugeben, dass der andere etwas gleich gut, geschweige denn besser kann. Christoph Möllers, ein Staatsrechtler, hat einmal zu bedenken gegeben, dass das Unbehagen an der Demokratie auch mit der Kränkung darüber zusammenhängt, „dass demokratische Herrschaft allen anderen so viel Raum gibt wie uns selbst“. So viel Raum wie uns selbst gestattet unser Überlegenheitsgefühl anderen gegenüber nicht. Besonders für Menschen, die sich moralisch überlegen fühlen, ist dies schwer zu verkraften. Warum soll der, der meiner Meinung nach minderwertigere Ziele anstrebt, mit seiner Stimme das Gleiche bewirken können wie ich, der ich es doch um so viel besser weiß und der ich mich auch für höherwertig halte?
Als Kaiser Joseph II. den Wiener Augarten und den Prater für das Volk freigab, regten sich manche Adelige auf, dass sie sich mit dem Pöbel gemein machen müssten. Da gab der Kaiser zu bedenken: „Wenn ich nur mit meinesgleichen verkehren würde, dann müsste ich in die Kapuzinergruft.“ Demokratie besteht darin, sich „jeden anzutun“, jedem das Gleiche zuzugestehen. Wenn ich glaube, es besser zu können, so muss ich den anderen zu überzeugen versuchen. Geben wir dem anderen den Raum, den wir uns selbst zuschreiben! Übrigens: Gott tut sich jeden von uns an.

Leopold Neuhold

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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