Positionen - Leopold Neuhold
Durchsichtig

Eine Mutter ging mit ihrem kleinen Sohn in eine Kirche. Es war Morgen, und die Sonne strahlte durch die Glasfenster, die von außen so schmutzig ausgesehen hatten. Eines leuchtete besonders hell in allen Farben. Auf die Frage des Kleinen, wer das auf dem Glasfenster sei, antwortete die Mutter: „Das ist ein Heiliger.“ Als die Lehrerin in der Schule fragte, was ein Heiliger sei, antwortete der kleine Junge, beeindruckt vom Farbenspiel in der Kirche: „Ein Heiliger, das ist ein Mensch, durch den die Sonne scheint.“
Wir brauchen solche Menschen, durch die die Sonne scheint, die durchsichtig sind auf Gott hin. Das ist wichtig in einer Zeit, in der wir zum Teil undurchsichtig geworden sind, weil wir nur noch unsere eigenen Wünsche reflektieren.
Die Größe Gottes im kleinen Menschen erscheinen lassen, und dies gerade in Zeiten, in denen das Angesicht Gottes verborgen zu sein scheint – hier liegt eine wesentliche Aufgabe Heiliger von heute. Natürlich muss man sehen, dass das Licht, das von Gott kommt, im Menschen immer auch gebrochen ist, verzerrt. Dabei gilt es, zwischen Durchscheinen und Widerspiegeln zu unterscheiden. Viele, die leuchten wollen, sind nicht durchscheinend, sondern werfen nur das Licht, das auf sie trifft, zurück.
Hier liegt übrigens auch die entscheidende Stelle zwischen heilig und scheinheilig. Ein Mann bemüht sich beim Papst um seine Heiligsprechung. Der Papst gibt zu bedenken, dass doch nur Verstorbene heiliggesprochen werden können. Darauf der Mann: „Und wenn ich scheintot bin?“ Dann spreche ich dich scheinheilig!“, so die Antwort des Papstes.

Leopold Neuhold

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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