5. Fastensonntag | 3. April 2022
Kommentar

Jesus verurteilt niemanden

Der Priester und Psychotherapeut Jörg Müller sagte einmal: „Jedes Urteil vor dem Jüngsten Gericht ist ein Vorurteil.“ In diesen Worten steckt mehr als eine geistreiche Pointe. Wie schnell sind wir mit einem Urteil über andere Menschen zur Stelle, ohne darüber nachzudenken, wie wenig wir letztlich über ihn wissen und wie viel wir mit einem solchen Urteil anrichten und zerstören können? Meistens sagt es auch mehr über den Urteilenden als über den Beurteilten aus.

Nur Gott kennt einen Menschen ganz – in der Tiefe seines Herzens, mit all seinen prägenden Erfahrungen, seinen Verletzungen, Enttäuschungen und Kränkungen, die vielleicht einer bestimmten Handlung vorausgegangen sind. Gott allein steht letztlich ein Urteil zu. Jesus weist auf die Gefahr vorschneller Urteile hin, denn jedes Urteil fällt letztlich auf denjenigen zurück, der es ausspricht.

Sehr schön wird das am Beispiel der Ehebrecherin deutlich, die man zu Jesus bringt. Die Ankläger haben längst das Urteil gefällt, das den sicheren Tod der Frau bedeuten würde. Jesus hält ihnen einen Spiegel vors Gesicht. Zuerst sollen sie mit sich selbst ins Gericht gehen und die Motive ihres Vorgehens hinterfragen. Geht es ihnen um das Schicksal dieses Menschen, um das gnadenlose Exekutieren von Gesetzen oder ist die Frau ein Vorwand, um Jesus einen Strick zu drehen?

Für Jesus steht der konkrete Mensch im Mittelpunkt. Er verurteilt niemanden, sondern ermöglicht Befreiung, Umkehr und neues Leben. Damit nimmt er das Urteil des göttlichen Gerichts vorweg.

Alfred Jokesch

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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