Interreligiöse Fachtagung
Braucht Demokratie Religion?

Die Fachtagung brachte Menschen aus unterschiedlichen Religionsgemeinschaften zusammen.  | Foto: The Schubidu Quartet
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"Braucht Demokratie Religion? Kann Religion Demokratie?" 
Unter diesem Titel versammelte die Interreligiöse Fachtagung Ende November im Grazer Rathaus auf Einladung der Initiative ComUnitySpirit, des Afro-Asiatischen Instituts und der Privaten Pädagogischen Hochschule Augustinum eine Reihe von ExpertInnen und ein interessiertes Publikum zu konstruktiven Gesprächen.

„Selbstverständlich braucht Demokratie auch Religionen, denn ohne Halt kann man nicht leben, gerade in Zeiten, in denen Unsicherheit verbreitet ist“, betonte die Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr in ihrem Eröffnungsstatement.

Der Leiter des Kultusamtes Florian Welzig erläuterte das österreichische System der Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften und begründete detailliert, warum er darin einen guten Träger für die Zukunft sieht. Ein besonders sensibler und zentraler Gradmesser für den Stand von Gesellschaften sei die Religionsfreiheit, deren Wesen darin bestehe, Religion nicht nur privat zu praktizieren, sondern öffentlich auszuüben. Aus seiner Perspektive sei die Gesellschaft auf vielen Säulen aufgebaut, Religion sei eine wesentliche davon.

In dem von Eva Wenig und Markus Ladstätter gestalteten Programm kam Expertise aus fünf Religionsgemeinschaften (Judentum, Islam, Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, Buddhismus und Christentum) mit eigenen Beiträgen zu Wort:

Für das Judentum konkretisierte Rabbiner Yuval Katz-Wilfing, der Geschäftsführer des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Österreich, die Thematik anhand der komplexen Rolle von Religion im Staat Israel. In seinen Ausführungen zeichnete er ein hochdifferenziertes Bild: Das aufgezeigte Spektrum reichte von grundlegend demokratischen Attributen in der jüdischen Kultur und Religion bis zu antidemokratischen Konzepten, die sich dort ebenso finden. Die dadurch aufgezeigte Vielseitigkeit der Realität ermöglicht eine plausible Argumentation gegen gängige, pauschalierende Klischees, wenngleich freilich Wünsche nach deutlicherer Spürbarkeit konstruktiver Ansätze in der gegenwärtigen Situation offen bleiben.

Im Blick auf den Islam spannt sich der inhaltliche Bogen von Positionen, die diese Religion schlichtweg als unvereinbar mit Demokratie darstellen, bis zu jenen, die im Islam an sich die wahre Verwirklichung von Demokratie sehen. Der Wiener Islamwissenschaftler Zekirija Sejdini griff diesen Kampf um die Deutungshoheit auf. Er legte dar, dass sich in den zentralen islamischen Quellen keine eindeutige Staatslehre finde; die Vielzahl und Unterschiedlichkeit konkreter Herrschaftsformen in der islamischen Welt vom iranischen Wächterrat über Scheichtümer bis zur Trennung von Sultanat und Kalifat und Demokratien untermauere diesen Befund. Wohl finden sich in den Quellen aber leitende und demokratieförderliche Prinzipien, nämlich Würde, Gerechtigkeit, Beratung, Gewissen und Eignung für Ämter.

Religion könne keine Ersatzverfassung sein. Sie könne aber, ebenso wie etwa die Kunst, helfen, notwendige Resonanzräume zu schaffen, die der Demokratie und Gesellschaft ansonsten verloren gingen, freilich unter der Voraussetzung, dass sie sich an Gründen messen ließe und von Macht-Ambitionen distanziere.
Francesco Di Lillo, Repräsentant der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage bei der EU, erläuterte Prinzipien und Meilensteine am Weg des „offenen Dialoges“ zwischen der EU und Religionsgemeinschaften. Glaube bedeute eine Quelle für Sinn und moralische Orientierung. Damit stellen Religionen etwa der Jugend eine Art „Kompass“ zur Orientierung gerade auch in neuen digitalen Welten zur Verfügung.

Das European Buddhist Youth Network könne nach Darstellung seiner Vizepräsidentin Tara Gassler besonders jenen Jugendlichen, die ihr Vertrauen in demokratische Prozesse verlieren und zudem heute spiritueller Leere ausgesetzt sind, konstruktive Wege anbieten.

Der katholische Grazer Sozialethiker Thomas Gremsl beleuchtete die komplexe Genese des Phänomens Demokratie und analysierte eindrücklich dessen gegenwärtige Herausforderungen und Krise. Christliche Religion bringe dazu mit ihrer Botschaft von der Gottebenbildlichkeit und Würde des Menschen sowie von Hoffnung und
Gerechtigkeit ein großes Potenzial ein. Dies freilich unter der Voraussetzung, dass christliche Kirchen diese Werte glaubwürdig vorleben und vertreten.

In mehreren Beiträgen wurde der vom deutschen Staatsrechtler Ernst Wolfgang Böckenförde geprägte Grundsatz rezipiert, dass der freiheitliche, säkularisierte Staat von Grundsätzen lebe, die er selbst nicht garantieren könne.

Schließlich folgten zwei Podiumsdiskussionen zur Frage nach demokratischen Strukturen und Grundsätzen innerhalb von Religionsgemeinschaften. Muslimischerseits erläuterten Mehmet Celebi (Vorsitzender der Islami-schen Religionsgemeinde Steiermark), Amira Sharawi (islamische Religionspädagogin) und Andin Berisha (Mus-limische Jugend Österreich) Mitbestimmungsmöglichkeiten in ihrer Community. Christlicherseits stellten sich Ioan Moga (orthodoxer Theologe, Universität Wien), Matthias Weigold (evangelischer Pfarrer, Heilandskirche Graz) und Anna Hollwöger (Generalsekretärin der Katholischen Aktion, Diözese Graz-Seckau) ehrlich und offen den Fragen nach den jeweiligen Vor- und Nachteilen demokratischer und hierarchischer Kirchensysteme.

Eine kurze Replik aus Bahai-Perspektive (Luka Jakelja) und ein komprimiertes Resümee seitens der Veranstalter rundeten die intensive Tagung ab. Die gesamte Veranstaltung im Grazer Rathaus vermittelte ein motivierendes Zeugnis von der Qualität interreligiöser Beziehungen in dieser Stadt.

Markus Ladstätter

Die Fachtagung brachte Menschen aus unterschiedlichen Religionsgemeinschaften zusammen.  | Foto: The Schubidu Quartet
Von links: Rabbiner Yuval Katz-Wilfing, Kultusamt-Leiter Florian Welzig, Islamwissenschafter Zekirija Sejdini (Uni Wien) und Religionswissenschafter Markus Ladstätter (PPH Augustinum). | Foto:  The Schubidu Quartet
Bürgermeisterin Elke Kahr betonte die Bedeutung von Religionen für Demokratie, „denn ohne Halt kann man nicht leben, gerade in Zeiten, in denen Unsicherheit verbreitet ist“. | Foto: The Schubidu Quartet
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SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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