Quelle des Segens - Schritte zu einer lebendigen Liturgie | Teil 05
Prinzip Einübung

Foto: Gerd Neuhold

Liturgen achten oft wenig darauf, dass Liturgie auch eine dramaturgische Aufgabe stellt, deren Erfüllung nicht durch Improvisation, sondern nur durch eine bewusste und geduldige Einübung möglich ist.

Das Prinzip „Übung“ hatte besonders in den Jahren nach 1968 in der Gesellschaft und weithin auch in der Kirche keinen guten Klang. Es gab so etwas wie einen Kult der Spontaneität. Nur in Sport und Musik galt das Üben immer als unverzichtbar. Gelitten hat dadurch besonders auch die Liturgie.

Indessen wird auch im Blick auf die Liturgie wieder bewusster, dass es hier einer gewissen Einübung bedarf, wenn Schlampigkeit bis hin zur Banalisierung abgebaut werden soll.

Erst Einübung ermöglicht eine gute Balance zwischen Wiederholung und Spontaneität in einem vorgegebenen Rahmen. Liturgie braucht beides: die Wiederholung bis hin zur Monotonie und das oft spontan entstehende Neue. Ein harmonischer Ausgleich zwischen beidem ist umso schwieriger, je vielfältiger in Bezug auf Lebensalter und andere Lebensverhältnisse eine liturgische Gemeinde konstituiert ist. Junge Menschen gähnen öfters noch dann, wenn älteren Menschen angesichts der Frequenz des Neuen fast schon der Atem ausgeht.

Vor dem Konzil war Liturgie viel stärker von Wiederholung als von Abwechslung geprägt. Das zur „Variation“ hin ausschwingende Pendel hat sich nach dem Konzil oft über die Skala des Zuträglichen hinausbewegt. Nicht wenige Teilnehmer am Gottesdienst fragten sich vor und während der Liturgie, welche nicht nur überraschenden, sondern oft auch peinlichen Innovationen und Improvisationen ihnen auch dort wieder bevorstünden, wo sie Festgelegtes erwarten durften und wo sie geistlich wohnen wollten. Oft fehlte das Neue paradoxerweise eben dort, wo es einen unbestrittenen Platz hat, nämlich in einer gut vorbereiteten Predigt. Seither ist vieles besser geworden, aber es gibt vielerorts noch große Defizite. Mehr Einübung in das Wesen von Liturgie wäre daher bei Zelebranten, Ministrierenden, Lektoren usw. in vielen Gemeinden geboten und bleibt überhaupt ein Dauerauftrag, bezogen auf den Umgang mit Liturgie.

Liturgie ist auch Theater im besten Sinn dieses Wortes, heiliges Spiel vor Gott. Kein säkulares Theater kommt ohne reichlichen Einsatz des Prinzips „Übung“, „Einübung“ aus.

Ein großes Lernfeld für die Einübung in das Glaubenswissen und dessen Vollzug im Leben und zumal auch in der Liturgie ist in den deutschsprachigen Ländern der Religionsunterricht, an dem eine große Mehrheit der katholischen Kinder und Jugendlichen teilnimmt. Eine nachhaltige Wirkung ist dort aus bekannten Gründen oft nur schwer zu erreichen. Es gibt aber eine große Zahl von jungen Christen, die in Gottesdiensten den Ministrantendienst tun. Würde man diese auf eine sie interessierende, ja faszinierende Weise bei Ministrantenstunden tiefer in das Wesen der Liturgie und ihrer „heiligen Zeichen“ einführen – und das ist durchaus möglich –, dann gäbe es Jahre später in jeder Diözese tausende erwachsene Katholiken mehr, die in der Liturgie nachhaltig verwurzelt sind. Es ist bedauerlich, dass gerade diese Möglichkeit angesichts zahlreicher anderer pastoraler Initiativen in vielen Diözesen nicht erkannt oder jedenfalls nicht ergriffen wird.

Dr. Egon Kapellari, Diözesanbischof

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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