Plädoyer für die Zukunft | Frage 7 | Interview
Muss ich heute Angst haben?

Angst ernstnehmen und genau hinschauen. Das versucht Daniela Bauer in der Telefonseelsorge. In der Begleitung geht es auch darum, noch vorhandene Ressourcen zu entdecken und die Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. | Foto: Pixabay
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  • Angst ernstnehmen und genau hinschauen. Das versucht Daniela Bauer in der Telefonseelsorge. In der Begleitung geht es auch darum, noch vorhandene Ressourcen zu entdecken und die Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen.
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Aus der Enge befreien

Daniela Bauer ist seit 2015 Leiterin der Telefonseelsorge in der Diözese Graz-Seckau.
Die Telefonseelsorge ist unter der Notrufnummer 142 kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Sie bietet auch eine Online-Beratung per E-Mail oder Chat an. Diese ist auf der Website https://onlineberatung-telefonseelsorge.at zu finden.

Flüchtlingskrise, Klimawandel, Corona-Pandemie – unsere Zivilisation scheint von einer Krise in die nächste zu stolpern. Der Begriff „Krise“ löst immer auch Ängste aus. Wo sehen Sie im Moment die größten Angstfaktoren in unserer Gesellschaft?
Daniela Bauer: Wir sollten Angst als Grundgefühl besonders ernstnehmen und genau hinschauen. Wenn wir die Frage jedoch anders stellen, könnten wir diesem Gefühl der Enge – „Angst“ kommt ja von „Enge“ – etwas von der Bedrohung nehmen, die viele heute spürbar erleben. Fragen wir daher: Wie schaffe ich es heute, dass ich keine Angst haben muss?
Eine Krise ist an sich noch nichts Schlechtes. Wir Menschen haben immer bewiesen, dass wir mit Krisen umgehen können. Waren Krisen früher eher lokal begrenzt, so rücken wir heute durch Globalisierung und mediale Zugänge – im Positiven wie im Negativen – zusammen und nehmen an der ganzen Welt teil. Diese Überinformation allein kann schon belasten. Krisen, die weit weg sind, können wir nicht richtig einschätzen, und das macht Angst. Was bleibt, ist ein beunruhigendes Gefühl, dass vieles aus dem Lot geraten ist.

Bei der Telefonseelsorge melden sich Menschen in existenziellen Krisensituationen. Welche Ängste treten da besonders auf?
Daniela Bauer: Gerade in Krisensituationen wird sichtbarer, dass viele Menschen bereits an ihrer Grenze leben. Das geht quer durch alle gesellschaftlichen Schichten. Natürlich geht es oft auch um materielle Ängste. In Krisenzeiten werden schwierige Lebenssituationen noch sichtbarer: Doppelbelastung durch Beruf und Familie, physische oder psychische Krankheiten. Über allem aber steht die Angst, allein dazustehen mit seinen Sorgen, mit einer prekären Lebenssituation. In der Einsamkeit, die Menschen selbst oft nicht so in Worte fassen können, erkennen wir in vielen Kontakten den Auslöser für unterschiedliche Ängste.

Welche Hilfestellungen geben Sie dann, damit Ängste entkräftet werden können?
Daniela Bauer: Wir dürfen für viele ein „Ersatzmitmensch“ sein, der zur Seite steht. Allein die Tatsache, dass eigene Ängste ausgesprochen oder in der Onlineberatung geschrieben werden können, entlastet und gibt wieder etwas Zuversicht. Gemeinsam mit den Hilfesuchenden entdecken wir vorhandene Ressourcen und eine trotz allem noch bestehende Handlungsfähigkeit, die – eben noch durch das Engegefühl verstellt – im Austausch sichtbar werden. Die Angst wird nicht „weggeredet“, sie kann jedoch besser eingeordnet werden, und die AnruferInnen finden wieder eine Perspektive und können wieder nach vorne schauen.

Welche Ressourcen bietet der christliche Glaube, um angstfreier zu werden?
Daniela Bauer: Spiritualität kann eine gute Basis sein, die trägt. Wir durften in dieser Krise ja auch erleben, was durch gelebten Glauben an Nächstenliebe und Zuwendung ermöglicht wurde. Viele Initiativen entstanden, Menschen sind zusammengerückt. Das macht stark und gibt Mut. Inwieweit wir jedoch im entscheidenden Moment aus dem Glauben heraus Zuversicht erfahren und uns nicht von Ängsten leiten lassen, wird sich für jede/n anders zeigen.

Was können wir als Kirche tun, um einem Klima der Angst entgegenzuwirken?
Daniela Bauer: Jeder/jede Einzelne ist gefragt, den Weg der Liebe und des Vertrauens zu gehen. Wo auch immer ich meinen Platz in der Kirche habe, habe ich die Möglichkeit und Verantwortung, mitzuwirken und zu gestalten. Wenn wir die Frohe Botschaft glaubhaft und authentisch leben, erhält die Angst keinen Nährboden.

Acht Fragen
Jubiläen zu begehen hat nur Sinn, wenn zugleich „nach vorne“ gedacht wird. So hat auch unsere Diözese anlässlich des 800-Jahr-Jubiläums 2018 in einem breiten Diskurs acht Fragen unter das Motto „Glauben wir an unsere Zukunft?“ gestellt.
>Wollen wir noch selber denken?
>Ist Armut unfair?
>Was würdest Du morgen zurücklassen?
>Rettet Schönheit die Welt?
>Wo brauchen wir Grenzen?
>Wer hat die richtige Religion?
>Muss ich heute Angst haben?
>Wie viel Macht hat eine schwache Kirche?

Die Serie wird begleitet durch die Online-Kolumne „Mitten im Leben“, in der Menschen aus ihrem Alltag im Zusammenspiel mit der jeweiligen Frage berichten. – www.katholische-kirche-steiermark.at/mittenimleben

Angst ernstnehmen und genau hinschauen. Das versucht Daniela Bauer in der Telefonseelsorge. In der Begleitung geht es auch darum, noch vorhandene Ressourcen zu entdecken und die Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. | Foto: Pixabay
Daniela Bauer ist seit 2015 Leiterin der Telefonseelsorge in der Diözese Graz-Seckau. 	 | Foto: Neuhold
Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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