SONNTAG. Der Tag zum Leben | Teil 22
In Zeit und Raum

Gott selbst wendet sich an den Menschen durch die Sprache. | Foto: Foto: Fotolia/Koschevarov
  • Gott selbst wendet sich an den Menschen durch die Sprache.
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Die Sprache
Einen wesentlichen, unersetzbaren Anteil an der Realität der „Versammlung“ hat die Sprache. Natürlich kann man mit Blick auf die Göttliche Liturgie und die Herabkunft des Heiligen Geistes auf die dargebrachten Gaben immer sagen: Wir verstehen sowieso nichts!

Aber der Gottesdienst ist doch, wie der Apostel sagt, eine „logike latreia“, „ein geistiger Gottesdienst“ (Röm 12,1), und „logos“ meint immer die Einheit von Sprache und Geist. Der Logos, das Wort, ist an sich eine Versammlung, ein „legein“, ein Sammeln, nämlich eine Versammlung des kategorial Vielfältigen in der Einheit seines Wesens. Nur weil der Mensch das Wesen ist, das den Logos hat, kann uns der Logos im Fleisch den Vater offenbaren. In der Göttlichen Liturgie treten die Menschen und die Engel als Sprachwesen vor den hin, der sie durch die Sprache vor allen anderen Geschöpfen ausgezeichnet und sich ähnlich gemacht hat.

Natürlich kommt die Sprache in der Liturgie auch an ihr Ende: „Es schweige alles sterbliche Fleisch und stehe mit Furcht und Zittern und denke nichts Irdisches bei sich…“ Man könnte sogar sagen: Die Göttliche Liturgie inszeniert das Versagen des menschlichen Logos vor dem Fleisch gewordenen Logos Gottes. So beten wir ja im Gebet der ersten Antiphon: „Herr, unser Gott, dessen Macht unvergleichlich, dessen Herrlichkeit unbegreiflich, dessen Erbarmen unermesslich und dessen Menschenliebe unaussprechlich ist…“

Aber dieses Versagen des Logos, der Sprache, setzt gerade die Sprache und das Verstehen voraus. Durch die Sprache verstehen wir, dass wir um so weniger verstehen, je mehr sich unser Verstehen dem Mysterium der Erlösung und der göttlichen Herrlichkeit annähert. Nur wer spricht, kann auch verstummen. Nur wer spricht, kann auch schweigen. Schweigen und Verstummen sind extreme Formen des Verhaltens des Sprachwesens, das der Mensch von Natur ist. Nur durch die Sprache kann ich mein eigenes Nichtverstehen verstehen und schweigend artikulieren. Nichtverstehen gibt es nur im Horizont von Verstehen und Verständigung.

Viele von uns verstehen die Göttliche Liturgie nicht in dem Sinne nicht, dass sie ihr eigenes Nichtverstehen angesichts der unvorstellbaren Größe und Heiligkeit des Mysteriums der göttlichen Liebe zu uns erführen, sondern in dem Sinne, dass sich ihnen gerade die Möglichkeit dieser Erfahrung verschließt, weil sie zur Sprache der Liturgie keinen oder nur einen ungenügenden sprachlichen Zugang haben.

Wer nichts versteht, versteht auch nicht, dass er nichts versteht. Und das kann zu widersprüchlichen Konsequenzen führen: Entweder glaubt er, alles zu verstehen bzw. für im Prinzip rational verständlich zu halten, oder aber er versucht gar nicht mehr, irgendetwas zu verstehen

Gott selbst aber wendet sich an uns durch die Sprache. Das Allerheiligste des alttestamentlichen Tempels, das Debir, ist der Sprachort, an dem sich Gott selbst sprechend offenbart: „Und wenn Moses in das Bundeszelt ging, um mit Ihm zu reden, vernahm er die Stimme des Herrn, die von der Stelle über der Sühneplatte her, welche die Bundeslade bedeckt, von der Stelle zwischen den beiden Cherubim her, zu ihm sprach; und er redete zu Ihm.“ (Num 7,89)

Unsere Hymnen zeigen uns mit wunderbarer Eindringlichkeit, wie Christus, der Logos, gekommen ist, uns von der a-logia, der Sprachlosigkeit, zu befreien. Stummheit und Taubheit dagegen sind dämonische Zustände, Zeichen und Wirklichkeit der Fesselung des Geistes durch die Leidenschaften.

Die Stummheit des Zacharias wird in dem Augenblick gelöst, in dem die Stimme des Wortes aus Elisabets erstorbenem Schoß hervorgeht.

Der Logos, das leibhafte göttliche Wort, reitet auf dem a-logon, der störrischen, stummen und vernunftlosen Kreatur, um uns zu zeigen, dass Er die Unbändigkeit und die Unartikuliertheit der Völker pfingstlich bezwingen wird.

Das Bemühen um die sprachliche Verständlichkeit der Göttlichen Liturgie ist, so beschwerlich es auch sein mag, letztlich eine Frage von Sein oder Nichtsein. Das Wesen der Kirche als Para-dosis, als Tradition verlangt von sich aus dieses Bemühen. Dabei haben wir in Westeuropa den Vorteil, dass es gewiss leichter ist, unsere liturgischen und geistlichen Texte in eine ganz andere, traditionsfremde Sprache zu übersetzen, als zum Beispiel das Altgriechische an das moderne Griechisch oder das Altkirchenslawische an die modernen slawischen Nationalsprachen anzupassen.

Ohne Sprache und Verständlichkeit ist Liturgie als „Versammlung“ nicht möglich. Die Liturgie reduziert sich dann auf ein magisches Ereignis oder ein nur ästhetisch wahrgenommenes Gesamtkunstwerk.
Unerlässlich ist auch, dass das Kernstück der Liturgie, die Anaphora (das Eucharistische Hochgebet), laut und vernehmlich vorgetragen wird. Nur so kann die ganze Gemeinde die heilige Darbringung vollziehen.

Erzpriester Peter Sonntag

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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