Positionen - Leopold Neuhold
Wo kommt man hin?

„Hatten Sie beim Einbruch einen Komplizen?“, will der Richter vom Einbrecher wissen. Entschieden weist der Angeklagte dies zurück, und zwar mit der Begründung: „Man kann ja heute keinem trauen, es gibt keine ehrlichen Menschen mehr.“
Das muss ein Dieb und Einbrecher sagen! Aber oft ist es so: Was man selbst sagt und tut, wird beim Anderen als großer Fehler eingeschätzt. Das Messen mit zweierlei Maßstäben ist Alltagswirklichkeit. Nicht was der Andere sagt und tut, ist falsch, sondern dass er etwas sagt und tut. Eine solche Einstellung, das Ausgehen vom Verdacht, dass der Andere Unrecht hat, auch wenn er gar nicht das Falsche tut – dies tue ja schon ich – , führt zu Gräben in der Gesellschaft, auch in der Kirche.
Beim Ordensgründer Ignatius von Loyola kann man am Anfang seines Exerzitienbüchleins lesen, dass „ein Christ mehr bereit sein muss, eine Aussage des anderen zu retten als sie zu verdammen“. Es fängt schon damit an, wie man das auffasst, was der andere sagt: Nicht der Verdacht sollte dabei leitend sein, sondern das Bemühen, die gemeinsame Basis zu finden. So kann Vertrauen geschaffen werden.
„Wo kommt man hin, wenn man über die Brücke geht?“ So die Frage eines Wanderers. „Auf die andere Seite!“, die lapidare Antwort des Gefragten. Es ist eine dürftige Auskunft. Aber könnten wir sie nicht auch als Aufforderung sehen, sich auf die andere Seite zu begeben, um von dort die Lage zu betrachten? Vielleicht kann man dann doch Vertrauen aufbauen. Und sollten wir nicht auch öfters auf die andere Seite gehen?

Leopold Neuhold

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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