Mutworte - Christa Carina Kokol
Ich habe nicht geweint

Foto: Neuhold

Einige Wochen vor Allerheiligen starb der geliebte Großvater des kleinen Tobias. Eltern und Großmutter wollten dem Fünfjährigen und seinem jüngeren Bruder Klemens die frühe Erfahrung von Sterben und Tod nicht zumuten und hielten die Kinder fern vom Geschehen.

Doch Tobias ließ mit seinen Fragen nicht locker, bis er selbst die erlösende Antwort gab: „Ich weiß, dass Opa jetzt im Himmel ist.“ Inständig bat er seine Großmutter, zu Allerheiligen mit ihr auf den Friedhof gehen zu dürfen. Lange stand der Junge am Grab des Großvaters, neben ihm sein unbeschwert plappernder Bruder.

Auf dem Heimweg war Tobias vorerst ungewöhnlich schweigsam, doch dann brach es aus ihm heraus: „Weißt du Oma, ich bin sehr traurig, dass Opa gestorben ist, aber an seinem Grab habe ich überhaupt nicht geweint. Wenn ich geweint hätte, wärst du bestimmt noch trauriger gewesen, und der kleine Klemens hätte mit mir geweint. Ich will nicht, dass ihr traurig seid.“

Aus der Forschung wissen wir, dass auch Tiere trauern und soziales Verhalten entwickeln. Doch allein der Mensch kann sich bewusst über seine Gefühle, Begierden, ja das eigene Leid erheben, wenn er darin einen Sinn erkennt. „Herrlich ist es zu wissen, dass Gegenwart und Zukunft, die eigene und die der Menschen um uns, abhängig sind von unserer Entscheidung, unserem Denken und Tun – in jedem Augenblick“ (Viktor Frankl).

Wie bei Tobias, der sich über die eigene Traurigkeit erhebt, damit es anderen besser geht.

Christa Carina Kokol
ist dipl. psychotherapeutische Beraterin in Logotherapie und Existenzanalyse nach Viktor E. Frankl.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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