Mutworte - Ruth Zenkert
Dem Himmel nah

Ich fahre am „Rehwäldle“ vorbei, spüre den Geschmack von Steinpilzen am Gaumen. In diesem Wäldchen gingen wir mit unseren Eltern spazieren, dort sahen wir Rehe, und so kam es zu seinem Namen. Wir sammelten Pilze, die Mama dann zubereitete. Es war köstlich.
Heute komme ich von weit her, nach Stunden auf der Autobahn nähere ich mich dem Ort, wo ich aufgewachsen bin. Da ist die Grundschule mit dem Pausenhof. Wie aufgeregt war ich vor 55 Jahren am ersten Schultag. Dann die Kirche. Der Platz davor ist leer. Damals hatte ich alle meine Freunde hier. In der Jugendgruppe haben wir viel unternommen.
Als Erstes will ich zum Friedhof, wo meine Eltern ruhen. Auf dem Weg dorthin bleibe ich bei einem Grab stehen. Auf dem Stein ist eingraviert: „Geträumt. Gewagt. Gelebt.“ Bei den Eltern angekommen, entferne ich zuerst das Laub von der Erde, damit die Blumen sprießen können. Dankbarkeit und Schaudern überkommen mich. Wie schrecklich war das Abschiednehmen. Wie viel Liebe haben sie mir geschenkt. Sie haben mich zum Träumen gebracht. Von ihnen bekam ich die Kraft zum Wagnis und zum Leben.
In den Jahrzehnten, seit ich von daheim fort bin, habe ich viel erlebt. Reich beschenkt wie Abraham in der Fremde. Aber immer noch zieht es mich genauso wie ihn dorthin zurück, zum Grab der Eltern. Sie haben mich gelehrt, den Namen des Herrn anzurufen. Sie haben meine Augen für die Menschen und ihre Nöte geöffnet. Wo ist für dich der Ort, wo du zum ersten Mal dem Himmel nahe gekommen bist?
Ruth Zenkert ist Mitarbeiterin der von P. Georg Sporschill, SJ., gegründeten sozialen Werke in Rumänien. Aus: elijah.ro/bimail

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SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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