Interview
Glück der Dankbarkeit

Als Benediktiner-mönch hält sich Br. David Steindl-Rast stets den Tod vor Augen – nicht furchtsam, sondern um wach und dankbar im gegenwärtigen Augenblick zu leben.  | Foto: Norbert Kopf
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  • Als Benediktiner-mönch hält sich Br. David Steindl-Rast stets den Tod vor Augen – nicht furchtsam, sondern um wach und dankbar im gegenwärtigen Augenblick zu leben.
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David Steindl-Rast. Eremit, weltweit tätiger Vortragsreisender, Buchautor und spiritueller Lehrer sind nur einige „Berufe“ des Benediktinermönchs. Dem Sonntagsblatt hat er einige Fragen zu seinem Leben und seiner Arbeit beantwortet.

Sie haben mit 96 Jahren ein Alter erreicht, das man schon fast „biblisch“ nennen kann. Wie geht es Ihnen mit dem Älter-Werden? Was haben Sie an Verlust und Gewinn im Alter beobachtet?

Es kommt mir wie gestern vor, dass ich als Kind immer wieder stolz sagen konnte „das kann ich schon!“ – die Schuhe selber zuschnüren, allein mit der Milchkanne um die Milch gehen usw. Heute darf ich halt stolz sagen „das kann ich noch!“ – mit einem langen Schuhlöffel Schuhe selber anziehen, die man nicht zuschnüren muss, mit dem Computer umgehen usw. Wenn mir auffällt, wie vieles ich „noch“ selber machen kann, dann sag ich „Gott sei Dank!“, und meine Dankbarkeit füllt mich mit Freude – das ist Gewinn. Es hilft mir, den Verlust von dem zu verschmerzen, was ich halt nicht mehr kann. Vielleicht ist es auch die Dankbarkeit, die mich jung erhält – innerlich zumindest –, denn sie lässt mich so vieles bemerken, worüber ich froh sein kann.

Ihre Bücher berühren viele Herzen. Ist das Schreiben für Sie manchmal auch anstrengend oder vorwiegend lustvoll? Woher kommt Ihre Inspiration?
Schreiben – früher mit der Hand, jetzt am Computer – macht mir immer Spaß, aber im hohen Alter lässt meine Energie halt nach. Alles geht jetzt viel langsamer als früher, und ich brauche weit mehr Schlaf. Einen Gedanken klar und überzeugend in Worte zu fassen, das ist für mich „lustvoll“, um Ihr Wort zu gebrauchen. Darum habe ich mich aber zunächst in meinen Vorträgen bemüht. Bücher wollte ich eigentlich nicht schreiben. Es gab sowieso schon zu viele. So kam es mir jedenfalls vor. Erst als ich schon fast 60 war, ließen mir die Verleger keine Ruhe mehr. Seitdem hatte ich das Glück, dass ich mich nicht, wie andere Autoren, um Verleger bemühen musste, sondern umgekehrt. Und Gott schenkte mir dann sogar noch weitere 40 Jahre zum Schreiben. Inspiration ist immer ein reines Geschenk. Ich schreibe halt über Themen, die mich zur Zeit bewegen. Und weil mir die großen Anliegen der Welt am Herzen liegen, bewegt das, was ich schreibe, halt auch viele andere Menschen.

„Inspiration ist immer ein reines Geschenk.“

Sie leben in einer Ordensgemeinschaft, nennen sich aber auch Eremit – wie sehr brauchen Sie das Alleinsein und wie sehr die Gemeinschaft mit anderen?
Wir alle brauchen beides, Zeit mit anderen und Zeit allein. Das Verhältnis zwischen diesen beiden ist von Mensch zu Mensch recht unterschiedlich. Es ist ein großes Geschenk, wenn unsere Lebensumstände uns erlauben, diesbezüglich unsere Bedürfnisse zu befriedigen. Weil ich auf Vortragsreisen so viel Zeit unter Menschen verbrachte, erlaubte mir mein Abt, zwischendurch immer wieder als Eremit zu leben. Das war sehr gut für mich, und ich bin dankbar dafür.

Jetzt, im hohen Alter, wäre es gefährlich, ganz allein zu leben. Da ist es ein großes Geschenk für mich, in einer Gemeinschaft leben zu dürfen, in der die Brüder sich liebend um mich annehmen und mir zugleich so viel Alleinzeit schenken, wie ich brauche. Und bei meinen argentinischen Freunden, bei denen ich vor der Winterkälte Zuflucht nehmen darf, steht mir sogar eine „Einsiedelei mit betreutem Wohnen“, wie wir sie schmunzelnd nennen, zur Verfügung.

In Ihrem Buch „Kraft des Staunens“ haben Sie Segenswünsche gesammelt. Was heißt Segen für Sie? Was wünschen Sie der Welt für einen Segen in der aktuellen Zeit?
Unter Segen verstehe ich die göttliche Lebenskraft, die uns zuströmt, so oft wir unser Herz dafür öffnen. Diese Kraft können wir zu Anderen weiterströmen lassen, indem wir ihnen von ganzem Herzen Gutes wünschen. Dieses Wohlwollen können wir nicht nur Freunden erweisen, sondern allen, denen wir uns liebend zuwenden, und sie so „segnen“. „Fürbittgebet“ ist der traditionelle Name dafür. Es zu üben ist ein großer Liebesdienst an der Menschheit.

Unsere menschliche Familie leidet heute an Spaltung und Zerrissenheit. Zugleich aber sind wir vor riesige Aufgaben gestellt, die wir nur vereint angehen können. Überbevölkerung, Umweltzerstörung, Klimawandel, Einkommensschere, Korruption – sie alle verlangen vereintes Vorgehen der ganzen Menschheit. Was wir also am dringendsten brauchen, ist Familiensinn als Menschheitsfamilie. In meinem neuesten Buch „Das Vaterunser. Ein Gebet für alle“ habe ich aufzuzeigen versucht, dass es uns alle zu Schwestern und Brüdern macht, wenn wir Gott „Vater“ nennen. Den Segen dieses Gemeinschaftsbewusstseins erbitte ich für unsere Welt am dringendsten in dieser schweren Zeit

Wenn Sie einmal nicht mehr sind – woran sollen sich die Menschen erinnern, wenn Sie Ihren Namen hören? Welche Botschaft möchten Sie, dass von Ihrem Leben bleibt? Wie denken Sie über den Tod?
Am wichtigsten wäre mir, dass Menschen für mich beten, wenn sie meinen Namen hören – dass sie mir Segen zusenden, schon jetzt in diesem Leben und dann im kommenden. Die wichtigste Botschaft, die ich zurücklasse, ist wohl diese: Dankbares Leben ist erfülltes Leben. Die Website www.dankbar-leben.org und ähnliche Websites in Englisch, Spanisch und anderen Sprachen werden diese Botschaft wohl noch einige Zeit lebendig erhalten. Das freut mich, und ich bin diesen treuen, tüchtigen Web-Teams von Herzen dankbar!

Sie fragen, wie ich über den Tod denke. Als Benediktinermönch halte ich mir stets den Tod vor Augen – nicht furchtsam, sondern als unsere Methode, wach und dankbar im gegenwärtigen Augenblick zu leben, er könnte ja mein letzter sein. Ich hoffe, dass die dankbare Lebensfreude, die dieser Haltung entspringt – eine Freude, die alles Leid mit einschließt – mir bis zuletzt geschenkt wird.

Wie ich über den Tod denke, wird durch meine Lebenserfahrung bestimmt. Ich habe einen Leib. Ich erfahre, dass er alt wird, und weiß, dass er sterben muss. Aber mein Selbst, das diesen Leib „hat“, zeigt keine Alterserscheinungen. Auf dieser Ebene weiß ich mich von der ewig jugendfrischen Liebe Gottes umfangen. Seiner liebenden Umarmung vertraue ich mich schon jetzt jeden Abend vor dem Einschlafen an und nehme dabei meinen letzten Augenblick vorweg. Das schenkt mir Herzensfrieden, obwohl ich mir alles
Weitere so wenig vorstellen kann wie eine Raupe ihr Leben als Schmetterling.

INTERVIEW: Katharina Grager

ZUR PERSON

David Steindl-Rast wurde am 12. Juli 1926 in Wien geboren. Dort studierte er Kunst,
Anthropologie und Psychologie und trat 1953 in das Benediktinerkloster Mount Saviour im Bundesstaat New York ein. Seit den 1960er Jahren engagiert er sich im interreligiösen Dialog, stand in engem Kontakt mit Thomas Merton, Thich Nhat Hanh oder dem Dalai Lama und ist Initiator des Netzwerks „Dankbar Leben“ (www.dankbar-leben.org). Heute lebt er in der benediktinischen Gemeinschaft des Europaklosters Gut Aich in St. Gilgen.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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