Interview
Kann ich dir helfen?

Endri Dani öffnete bei seiner Performance „Natura Morta“ im Kunsthaus Graz Knospen zu Blüten. Ein Kind half ihm spontan dabei (gr. Bild). Im Corona-Lockdown entstand die Idee für seine Werksserie „JAZZ“ (kl. Bild). | Foto: Nikola Milatovic, Dani
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  • Endri Dani öffnete bei seiner Performance „Natura Morta“ im Kunsthaus Graz Knospen zu Blüten. Ein Kind half ihm spontan dabei (gr. Bild). Im Corona-Lockdown entstand die Idee für seine Werksserie „JAZZ“ (kl. Bild).
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Der albanische Künstler Endri Dani über spontane Interventionen bei Kunstperformances, seine Herkunft,  Anpassung und Opposition und – passend zum Muttertag – die Macht der Mütter.

Vor vier Jahren musste Endri Dani seinen Graz-Aufenthalt im Rahmen des Styrian-Artist-in-Residence-Programmes des Landes Steiermark wegen des Corona-Lockdowns ungewollt um drei Monate verlängern. Diese Zeit verbrachte er in einem Gästezimmer im Grazer Priesterseminar. Entstanden ist damals eine Werkserie, die er nun erstmals in Österreich in der QL-Galerie präsentiert. Inspiriert hat ihn Pier Paolo Pasolinis berühmte „Ballade von den Müttern“. Hochschulseelsorger Alois Kölbl hat mit ihm vor dem Muttertag über seine Ausstellung in Graz gesprochen.

Alois Kölbl: Deine Werkserie „JAZZ“, die in der QL-Galerie erstmals gezeigt wird, ist während eines Aufenthaltes in Graz entstanden. Sie ist von einem Text des italienischen Dichters und Regisseurs Pier Paolo Pasolini inspiriert. Wie kam es dazu?

Endri Dani: Pasolini und viele Autoren seiner Generation waren seit meiner frühen Jugend ein wichtiger Bezugspunkt, mit dem ich durch meinen Vater, der Literaturprofessor war, in Berührung gekommen bin. Albanien war und ist sehr von italienischer Kunst, Kultur und Philosophie beeinflusst. Ich bin durch meinen Vater wirklich mit den machtkritischen Texten von Pasolini und Antonio Gramsci aufgewachsen, die für ihn und viele andere seiner Generation eine wichtige Grundlage für den inneren Widerstand gegen das diktatorische Regime in Albanien waren.

Seit der Antike
haben die Machthaber Angst
vor der Macht der Mütter,
die ihre Kinder erziehen ...


Bei Pasolini geht es ja auch vor allem darum, wie Macht und Machtausübung mit der Industrialisierung verbunden ist. Die Industrialisierung begann in Albanien Jahrzehnte später als in anderen Ländern Europas. (…) In Albanien gab es über Jahrzehnte eine totalitäre Diktatur mit absoluter Kontrolle der gesamten Gesellschaft. Es gab nichts Privates in Albanien. Meine Heimat ist ja ein kleines Land mit nur drei Millionen Einwohnern. Da ist staatliche Kontrolle sehr einfach. Alles war strengstens reglementiert. In meiner Familie herrschte ein starker Oppositionsgeist, und ich erlebte meine Mutter in einem Zwiespalt: einerseits wurde bei uns zu Hause sehr offen und kritisch auch gegen die staatliche Linie gesprochen, andererseits musste man Strategien entwickeln, um das nach außen hin zu verstecken. Meine Mutter wollte mich und meine Schwester schützen, gleichzeitig aber auch dazu erziehen, anderen zu helfen, auch in Opposition zu staatlicher Reglementierung zu treten.

Mit Konformismus ist menschliches Leben immer leichter zu gestalten. Darum geht es auch in Pasolinis Text. Im Lockdown in Graz, als ich mehr oder weniger in meinem Zimmer gefangen war, habe ich viel über staatliche Reglementierung nachgedacht, und wie weit sie gehen darf. Die Erzählung, dass das Virus ursprünglich von einem Schuppentier auf den Menschen übertragen wurde und so in die global vernetzte menschliche Lebenswelt eingedrungen ist, hat mich auch sehr beschäftigt. In kürzester Zeit war die ganze Welt von einem Virus betroffen, das von einem Markt irgendwo in China – aus unserer Perspektive irgendwo am Ende der Welt – ausgegangen war.

In dieser Situation habe ich Pasolinis Gedicht wieder gelesen. Dort heißt es, dass seit der Antike die Machthaber immer Angst vor der Macht der Mütter haben, die ihre Kinder erziehen. Bei Pasolini geht es um das Industriezeitalter, ich wollte das auf unser digitales Zeitalter übertragen
So habe ich versucht, mit einem ganz kleinen Kind und seiner Mutter in Kontakt zu kommen. Das Kind sollte noch in einem Alter sein, in dem es sich nicht erinnert an das, was es geschaffen hat. Das war mir sehr wichtig. Die Mutter führte die Hand ihres sechsmonatigen Babys mit einem Stift in der Hand, und sie sollte versuchen eine Linie zu zeichnen, die möglichst genau an die von einem Computer generierte, gerade Linie angepasst ist. Mit dieser Idee entstanden hundert Zeichnungen, in denen es in einem übertragenen Sinn um Konformismus und Anpassung geht.

Deine Arbeit heißt „JAZZ“. Warum?
Dani: Ganz einfach: Das ist der Name des Babys, das die Linien gezeichnet hat. Seine Mutter, eine Albanerin aus dem Kosovo, ist Jazz-Sängerin und sein Vater ist Musiker. Daher rührt wohl der Name des Kindes. Für mich fügt sich das aber noch aus einem anderen Grund sehr schön für meine Arbeit. Graz ist ja für seine Jazz-Szene bekannt, das ist nicht selbstverständlich in einer europäischen Stadt. Jazz steht einerseits für die Befreiungsgeschichte der People of Color in Amerika, andererseits ist Jazz von Improvisation geprägt, die sich nicht strikt an die Vorgabe der Komposition hält, sondern vom freien Spiel und dessen Dynamik lebt. Genau darum geht es in meiner Arbeit.

Du kombinierst deine Werkserie in den Räumen der QL-Galerie mit einer anderen Arbeit, die bei mir Assoziationen zum Muttertag wachruft, weil ein Strauß mit Rosen im von oben erleuchteten Lichthof der Galerie steht …
Dani: In dieser Arbeit geht es sehr stark um Gefühle und Emotion, deswegen ist die Assoziation zum Muttertag nicht unberechtigt. Gleichzeitig hat die Arbeit aber sehr starke politische Implikationen. Die Idee dazu entstand während eines Stipendienaufenthaltes in New York. Sie basiert auf Kindheitserinnerungen. Ich bin im Norden Albaniens, in Shkodra, nicht weit weg von den Bergen aufgewachsen. In meiner Kindheit gab es noch sehr strenge Winter. Das hat sich inzwischen durch den Klimawandel verändert. Als Kinder konnten wir den Frühling kaum erwarten, vor allem meine um zwei Jahre ältere Schwester. Wenn sie Blumen mit den ersten Knospen sah, hat sie diese, die irgendwie wie ein Baby noch in einer embryonalen Phase waren, abgeschnitten und mit nach Hause gebracht. Sie hat dann immer Aspirin ins Wasser gegeben, weil es hieß, dass dies den Prozess beschleunigen würde, die Knospe zum Aufblühen zu bringen. Während meine Schwester in der Schule war, habe ich dann ein wenig nachgeholfen, weil ich ihr eine Freude bereiten wollte. Ich habe händisch die Knospe geöffnet und eine vollkommen erblühte Blume erzeugt. (…)

Meine Kindheit in Albanien war vom prosperierenden Amerika und von der blühenden Stadt New York geprägt, ohne dass ich jemals dort gewesen wäre. An diese Erinnerung habe ich mit meiner Performance in Manhattan angeknüpft. Ich ging auf den Blumenmarkt im Flower District und kaufte einen Blumenstrauß. Dann ging ich vier Stunden lang zu Fuß vom Flower District in den Financial District, also in das Stadtviertel, von dem aus der ganze Reichtum der westlichen Welt kontrolliert wird. Dort begann ich die Knospen des Rosenstraußes wie in meiner Kindheit mit meinen Händen zu Blüten zu öffnen. Den so zum Blühen gebrachten Rosenstrauß stellte ich vor das Woolworth-Building, das man wegen seiner architektonischen Formensprache treffend als die „Kathedrale des Konsums“ bezeichnet. Assoziationen in viele Richtungen waren natürlich erwünscht.

Für mich war es ein berührender Moment, als du deine Performance im Kunsthaus Graz wiederholt hast und ein Mädchen, das mit seiner Mutter dort vorbeiging, dir spontan geholfen hat, die Knospen zu öffnen. So etwas kann man ja nicht planen …

Dani: Das war bereits das zweite Mal, dass so etwas passierte. Bereits in Riga, als ich die Performance auf einem Kunstfestival machte, hat mir ein Kind die Show gestohlen (lacht). In Riga wie auch in Graz begann alles mit der einfachen Frage der Mädchen: „Kann ich dir helfen?“ (…) Es geht um Marktmechanismen, die Dominanz der wirtschaftlich Mächtigen, um Ausbeutung, aber auch um ökologische Verantwortung.

Die Rosen meiner Performance sind in Peru gewachsen, eine holländische Firma hat sie dort gezüchtet und nach Holland verschifft. Von dort kamen die Blumen nach Tirana, wo ich sie gekauft und nach Graz gebracht habe. Die Frage der Kinder war also nicht nur entwaffnend, sondern erschloss auch eine neue Sinnebene.
Wir bräuchten diese simple Geste so oft in unserer Welt der Ausbeutung anderer, des Leidens und der Armut, die verdrängt und nicht wahrgenommen werden. Diese zunächst so simpel und naiv scheinende, kindliche Frage könnte als Schubumkehr einer Haltung eines Systems prosperierenden Reichtums, dessen Wohlstand aber auf Kosten anderer blüht, fungieren.

Das ganze Interview erscheint im nächsten Denken+Glauben
(D+G Nr. 207, Sommer 2024) und auf www.khg.graz-seckau.at.

◉ Muttertags-Tipp: Jazz-Brunch mit albanischem Buffet und Künstlergespräch, 12. Mai, 11.30 Uhr, Quartier Leech, Lechgasse 24, Graz.

Endri Dani öffnete bei seiner Performance „Natura Morta“ im Kunsthaus Graz Knospen zu Blüten. Ein Kind half ihm spontan dabei (gr. Bild). Im Corona-Lockdown entstand die Idee für seine Werksserie „JAZZ“ (kl. Bild). | Foto: Nikola Milatovic, Dani
Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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