19. Sonntag im Jahreskreis | 09.08.2020
Meditation

Foto: pixabay.com/Goumbik

Wahrhaftig suchen
Hören wir nicht oft, auch von christlicher Seite, der Mensch sei zu einer echten Gotteserfahrung, zum Erleben der Transzendenz nicht mehr fähig? Wie rasch ist man philosophisch, theologisch oder psychologisch der Auffassung, diese Erfahrungen gehörten in den Bereich des Mythos. Nach Ansicht des Theologen Josef Ratzinger (später Papst Benedikt XVI., Anm.) sind solche Urteile übereilt und können leicht durch glaubwürdige Zeugnisse vieler Männer und Frauen widerlegt werden.
Der Lebensweg Edith Steins bietet uns ein Modell, wie auch wir Menschen des 20. (mittlerweile 21., Anm.) Jahrhunderts, durch alle Anfechtungen und Wirrnisse hindurch, den erfahren können, der unser Herz unruhig gemacht hat, damit es ruhe in ihm (Augustinus). Die Etappen Edith Steins geistig-seelischer Entwicklung sprechen den modernen Gottsucher an: Jüdin – Atheistin – Studentin – Rotes-Kreuz-Schwester – Philosophin –
Konvertitin – Lehrerin – Wissenschaftlerin und Rednerin in Frauenfragen – Dozentin an einer pädgagogischen Hochschule und zuletzt Karmelitin und Martyrin mit ihrem Volk in den Gaskammern von Auschwitz. Das ist der Lebensweg eines Menschen, der sich an den Fragen unserer Zeit nicht vorbeigedrückt hat, der offen war für Ansprüche und Nöte unserer Gesellschaft, der ganze Arbeit geleistet hat und nach Wegen Ausschau hielt, nach denen unsere Zukunft menschlicher und sinnvoller gestaltet werden kann. Wenn wir Edith Stein fragen könnten, aus welcher Grundhaltung heraus sie dieses reiche Lebensprogramm bis zu ihrem Tod entfaltete, so würde sie uns wohl als Erstes ihre unerbittliche Suche nach Wahrheit, nach dem Sinn des Lebens nennen. Als sie als junger Mensch den Glauben an einen die Welt transzendierenden Gott noch ablehnte, geschweige denn eine Erfahrung von ihm hatte, bemühte sie sich, wahrhaftig, selbstlos und sozial zu sein. Wahrhaftig, indem sie es verabscheute, um eines Vorteils willen Unwahres zu sagen oder zu tun. Sie nannte sich Atheistin, weil der Gott ihres jüdischen Glaubens für sie nicht existierte. Sie verhielt sich selbstlos und sozial, indem sie sich als Schülerin und Studentin mitfühlend und helfend für andere einsetzte.
Und doch fehlte der jungen Studentin etwas Wesentliches … Sie war innerlich einsam und hungerte nach einem Lebenssinn.

Waltraud Herbstrith

Edith Stein, als Karmelitin Theresia Benedikta
vom Kreuz, wurde 1989 heiliggesprochen, ihr
Festtag ist der 9. August. Der Text erschien in dem Buch „Verweilen vor Gott – Mit Teresa von Avila, Johannes vom Kreuz und Edith Stein“, Verlag Topos Plus, hier 3. Auflage (2001), zuletzt 2008, ISBN 978-3-8367-0402-1.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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