22. Sonntag im Jahreskreis | 3. September 2023
Meditation

Katze vor Grabeskirche | Foto: Grager

Eine Katze für das Heil

Vor einigen Jahren habe ich eine Geschichte entdeckt. Ich weiß nicht mehr, wo wir uns über den Weg gelaufen sind. Vielleicht habe ich sie in einem Buch gelesen, möglicherweise hat sie mich in den Weiten des Internets gestreift. Nicht nur weil es um eine Katze geht, möchte ich Ihnen die Geschichte erzählen:
Die Geschichte spielt in einem Kloster. Die Mönche halten täglich eine gemeinsame Abendmeditation in der Kapelle. Als eines Tages die Klosterkatze während dieser Zeit in die Kapelle läuft und stört, ordnet der älteste Mönch an, die Katze solle während dieser Zeit draußen festgebunden werden. So konnten sie wieder ungestört meditieren. Die Jahre vergingen. Schließlich starb der Älteste, und jemand aus der Gemeinschaft wurde sein Nachfolger. Dieser hielt sich weiterhin streng an die Vorgabe seines Vorgängers, während der Abendmeditation die Katze anzubinden.
Als schließlich die Katze starb, wurde rasch eine neue Katze angeschafft, um sie während der Abendmeditation anbinden zu können. Weil die Leute den Sinn dieser Maßnahme nicht verstanden, traten Wissenschaftler auf den Plan und schrieben ein zweibändiges Werk mit vielen Fußnoten über die Heilsnotwendigkeit einer angebundenen Katze während der Abendmeditation. Mit der Zeit gab es immer weniger Mönche, die letzten waren schon alt und bettlägerig. Sie trafen sich nicht mehr zur Abendmeditation. Doch an dem Brauch, jeden Abend eine Katze vor der Kapelle anzubinden, hielt man fest.
Und welche angebundenen Katzen gibt es in Ihrem Leben?
Ich musste schmunzeln, als ich die Geschichte das erste Mal las. Sie erinnerte mich an so manche Situation in meinem Theologiestudium, wo ich mich durch das eine oder andere Werk (meist mit vielen Fußnoten) graben musste, bei dem ich nur den Kopf schütteln konnte – so lebensfern und unnütz erschien mir das Wissen, das ich mir aneignen sollte. Später erfuhr ich: So ging es nicht nur mir und nicht nur Theologiestudierenden. Ich lernte: Jedes Fachgebiet hat seine eigenen „angebundenen Katzen“.
Ja, ich würde sogar sagen, jeder Mensch, jedes Leben hat solche Überreste von Traditionen oder Gebräuchen, die einst einen ganz konkreten, sogar wichtigen Sinn erfüllten. Einen Sinn, der sich wie alles mit der Zeit wandelte und irgendwann nicht mehr verständlich war. Wenn man so etwas bemerkt, denke ich, müsste man nicht gleich die ganze Katze abschaffen – man könnte erst einmal das Anbinden sein lassen …

Katharina Grager

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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