In Zeiten der Trauer | Teil 02
Von Verlorenheit erschlagen

Menschliche Nähe ist ein Trost, den jeder geben kann. | Foto: Candid Shots/Pixabay
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Nichts tun können

Hermann Glettler, Bischof und Künstler (= HG) und
Michael Lehofer, Psychiater und Psychologe (= ML), zeichnen in ihren vielschichtigen Gesprächen einige Wegspuren aus der Verlorenheit – anspruchsvoll und nachhaltig.

HG: Es gibt Momente, in denen wir als Menschen nichts mehr tun können. Ich erinnere mich an mehrmalige Besuche bei einem hochintelligenten Patienten auf der Palliativstation. Er hatte eine intensive Chemotherapie hinter sich, ebenso Strahlentherapie und alternativmedizinische Interventionen. Alles vergeblich. Nahezu bis zum letzten Atemzug versuchte er mir zu erklären, dass sein Sterben aufgrund eines technischen Versagens passieren wird. Er beklagte die Tatsache, dass die medizinische Technik noch nicht so weit sei. Es war schwer, ihn zu trösten, da er seine eigene Sterblichkeit nicht annehmen konnte.

ML: Wir haben eine solche Sehnsucht, uns selbst zu bestimmen und zu erklären, dass uns die Realität fast egal ist. Genauso schwer tun wir uns, wenn wir unsere Zukunft nicht mehr sicher bestimmen können. Auch dann verfallen Menschen in abstruse Konzepte, die durchaus wahnhaften Charakter haben.

HG: Das atemberaubende Tempo des technischen Fortschritts treibt uns in die Illusion einer allumfassenden Machbarkeit des Lebens. Selbst Kleinkinder beherrschen als „digital natives“ den notwendigen Touch auf dem Screen – alles benutzerfreundlich, hochkomplex und vor allem schnell. Störungen und Krisen sind nicht vorgesehen. Wenn sie dennoch auftauchen, bricht das Kartenhaus zusammen. Wir sind nicht so souverän, wie wir es uns und anderen gerne vormachen.
ML: Wir möchten die Illusion aufrechterhalten, dass wir die Fäden unseres Lebens in der Hand haben. Wir müssen „weil“ sagen können, und wir müssen „ich könnte, wenn ich wollte“ sagen können. Wenn wir dann einmal tatsächlich nicht wissen, woher etwas kommt, werden nicht selten abstruse Verschwörungstheorien strapaziert.

HG: Lass uns einen Blick auf eine alltägliche Situation werfen: Was tun, wenn die Realität Demenz heißt? Wo ist das Tröstliche, wenn man ohnmächtig zuschauen muss, wie EhepartnerIn oder FreundIn die mentale Selbstbestimmung verliert? Alle Betroffenen kennen die Phasen der Wut, wenn eine vertraute Person einfachste Dinge im Haushalt, in der Körperpflege nicht mehr auf die Reihe bekommt. Großer Respekt gebührt Angehörigen und Pflegenden, die damit kreativ und barmherzig umgehen. Ich denke an einen Mann, der seit Jahren täglich seine Frau im Pflegeheim besucht. Sie ist vollkommen dement. Immer findet eine ähnliche, für Außenstehende ermüdende Konversation statt. Sie selbst aber können herzhaft lachen über schöne Momente ihrer gemeinsamen Geschichte, die wie kleine Rastplätze im Nebel der nicht mehr exakt einzuordnenden Erinnerungen auftauchen.

ML: Nichts tun können und trotzdem da sein! Darum geht es. Für mich selbst habe ich den Ausdruck gefunden, sich in die „Hängematte Gottes“ zu legen. Die Idee ist mir gekommen, als ich einmal in einer verzweifelten Lage war und alles versucht hatte, da herauszukommen. Ich erkannte, dass alle meine Handlungen nur „Verschlimmbesserungen“ waren. Ich akzeptierte meine Hilflosigkeit. Wie durch ein Wunder wurde mir geholfen.

TRAUER konkret

Wie helfen Sie als Krankenhausseelsorgerin Menschen in oft schwerer Krankheit, besonders auch Demenzbetroffenen?

Menschliche Nähe ist immer wichtig! In liebevollem Da-Sein die Menschen wahrnehmen, mit ihren Sorgen und Fragen ernst nehmen – egal wie viel Sprachfähigkeit oder kognitive Intelligenz da ist. Gerade bei Demenz-Betroffenen ist die Körpersprache von besonderer Bedeutung. Menschen mit Alzheimer-Demenz spüren stärker als andere, wenn man mit Worten etwas sagt, aber nicht so meint. Ihre emotionale Intelligenz ist höher als bei sogenannten „gesunden Menschen“.
Als Seelsorgerin bin ich Zuhörende. Aber auch Schweigen kommt oft vor. Ich finde es etwas ganz Schönes, gemeinsam zu schweigen, einfach da zu sein, vielleicht die Hand zu halten, vielleicht auch nicht – da kann viel in Schwingung kommen. Miteinander zu beten oder die Kommunion zu spenden biete ich den Menschen an. Darüber hinaus berührt das Segnen die PatientInnen auf ganz besondere Weise.
In allen steirischen Krankenhäusern gibt es SeelsorgerInnen. Wenn Sie als PatientIn einen Besuch wünschen, fragen Sie beim Klinikpersonal nach.

Elisabeth Stepanek ist Seelsorgerin im Gereatrischen Gesundheitszentrum der Stadt Graz.

Menschliche Nähe ist ein Trost, den jeder geben kann. | Foto: Candid Shots/Pixabay
Elisabeth Stepanek ist Seelsorgerin im Gereatrischen Gesundheitszentrum der Stadt Graz. | Foto: Neuhold
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SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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