Quelle des Segens - Schritte zu einer lebendigen Liturgie | Teil 06
Die Gestalt der Liturgie

Foto: Gerd Neuhold

Der 1988 verstorbene Jesuit Herbert Schade hat einem der von ihm verfassten Bücher den Titel „Gestaltloses Christentum?“ gegeben. Das Fragezeichen im Titel des Buches war ein Ausdruck der Sorge des Autors über einen offensichtlichen Verlust der gestaltenden Kraft des Christentums in Literatur und bildender Kunst.

Dieser Verlust trat und tritt besonders in der Liturgie zutage. Es gilt hier das Missverständnis zu vermeiden, Gestalt, Form wäre in der Liturgie bloß so etwas wie ein Kleid, das mit dem Inhalt nur lose zusammenhängt. Tatsächlich gibt es altgewordene Gestalten des Geistes, die einer fast abgestorbenen Haut gleichen. Sie kann vom Leib, den sie umgibt, leicht abgestreift werden. Als Beispiel dafür hat der italienische Regisseur Federico Fellini in seinem Film „Roma“ aus dem Jahr 1972 eine makabre Modenschau geistlicher Gewänder präsentiert. Diese nicht unverdiente Parodie konnte aber nicht den Kahlschlag rechtfertigen, der nach dem II. Vatikanischen Konzil vielerorts Altäre, liturgische Gewänder sowie die Dramaturgie und die Sprache der Liturgie erfasst hatte. Seither ist allerdings viel Heilendes geschehen, und dies nicht nur durch Wiederherstellung von Gewesenem, sondern auch durch Weiterentwicklung in lebendiger Kontinuität.

Gestalt hat zwar auch mit dem äußeren Anschein zu tun. Das Wort leitet sich her von „stellen“, etwas „darstellen“. Der aktive Sinn des Gemeinten erscheint noch deutlicher im Wort „gestalten“. Tieferblickend sahen aber große deutsche Dichter wie Goethe und Schiller in der Gestalt einen Ausdruck des Wesens der Dinge. Ebenso der Philosoph Hegel, der in seinen Vorlesungen über Ästhetik sagte, dass die Gestalt allein von ihrem geistigen Inhalt zusammengehalten, getragen und vollständig durchdrungen sei. In einem ähnlich ganzheitlichen Sinn verwenden Gestalttherapie, -psychologie und -pädagogik den Begriff Gestalt. Dies gilt auch für die Theologie und das kirchliche Leben.

Der Geist der Liturgie
Wenn es um die Gestalt der Liturgie geht, dann muss dementsprechend auch vom Geist der Liturgie gesprochen werden. Der deutsche Theologe Romano Guardini hat dies pionierhaft in seinem schmalen Buch „Vom Geist der Liturgie“ schon im Jahr 1918 getan. Kardinal Joseph Ratzinger hat 1999 in seinem Buch „Der Geist der Liturgie“ darauf Bezug genommen und gesagt, man könne dieses schmale Erstlingsbuch Guardinis als den Aufbruch der Liturgischen Bewegung in Deutschland bezeichnen.

Entsprechend ihrem Wesen ist die christliche Liturgie immer auch der Versuch, auf Jesus Christus zu schauen: auf seine Gestalt, wie sie dem Christen in der Heiligen Schrift und in zahllosen Werken christlich inspirierter Kunst begegnet. Sie werden auf den schauen, den sie durchbohrt haben, sagt ein Wort aus dem Alten Testament, das von der Kirche auf Jesus Christus hin gelesen wird (Sach 12,10). Dieses Schauen gilt aber nicht nur dem leidenden und schließlich gekreuzigten, sondern auch dem verklärten, auferstandenen und in der Glorie seiner Wiederkehr am Ende erwarteten Christus. Die Liturgie des Kirchenjahres begleitet die Christen und ihre Gemeinden bei ihrer Schau der Gestalt des Herrn auf dem Pilgerweg durch die Zeit.

Dr. Egon Kapellari, Diözesanbischof

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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