Wem schreibt Paulus seine Briefe? | Teil 06
Christologie statt Esoterik

Die Kalksinter­terrassen sind eine Berühmtheit in der Nähe von Hierapolis. Kalkhaltige Thermalquellen lagern den weißen Travertin ab. | Foto: Fatih
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  • Die Kalksinter­terrassen sind eine Berühmtheit in der Nähe von Hierapolis. Kalkhaltige Thermalquellen lagern den weißen Travertin ab.
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Die Reste des alten Kolossä liegen heute fast unberührt unter einem Erdhügel begraben. Archäologisch ist die historische Stätte kaum erschlossen. Unter den Sedimenten der Geschichte verborgen halten sich auch mögliche Spuren des Apostels Paulus in Kolossä. Vielleicht kam er auf dem Weg nach Ephesus durch die phrygische Stadt, eher aber nicht. Und der Brief an die Kolosser wird einem Paulusschüler zugeschrieben, der die dortige Christengemeinde in dessen Namen im Glauben ermutigen wollte. Wahrscheinlich im Auftrag des Paulus hat ein gewisser Epaphras in Kolossä gelehrt. Er gilt als Gründer der Gemeinde, die sich im Haus des Philemon, an den Paulus einen sehr persönlichen kurzen Brief geschrieben hat, versammelte.

An einer bedeutenden Handelsstraße gelegen, wurde Kolossä mit seiner Wollerzeugung und Tuchweberei groß. Die tiefschwarze Wolle des Lykostales war sehr begehrt. Ihre Blüte hatte die Stadt im Perserreich, zur Zeit des Paulus hatten ihr bereits Hierapolis und Laodizea den Rang abgelaufen. Von den Folgen eines Erdbebens, das im Jahr 60 oder 61 nach Christus alle drei Städte heimsuchte, konnte sich Kolossä nie mehr ganz erholen.

Möglicherweise unter dem traumatischen Eindruck des Erdbebens verbreitete sich dort eine esoterische Sonderlehre, die auch in die christlichen Gemeinden eindrang. Diese „Philosophie“ sprach von kosmischen Elementarkräften, die miteinander im Widerstreit stehen und den Fortbestand der Welt gefährden. Diese geistigen, auch als Engel bezeichneten Mächte sind dem Menschen nicht unbedingt freundlich gesinnt und ziehen ihn in den Kampf der Elemente hinein. Die Anhänger dieser Lehre versuchten, den Aufstieg ihrer Seele zu Gott durch leibfeindliche asketische Übungen, durch Verehrung dieser Engelmächte und das kultische Feiern gewisser Feste zu begünstigen.

Der Kolosserbrief gibt eine sehr sachliche, aber klar gehaltene Antwort auf diese Entwicklung. Vor eine Auseinandersetzung mit der irreführenden Lehre stellt er einen Hymnus, der wahrscheinlich in der Taufliturgie gebräuchlich war. Darin wird Christus unmissverständlich über den Kosmos gestellt. Durch ihn wurde alles erschaffen, und allein durch ihn geschieht Erlösung, weil in ihm Gott mit seiner ganzen Fülle wohnt. Damit entzieht er jenen Esoterikern die Grundlage dafür, ihre kosmischen Kräfte als von Christus unabhängige Elemente zu verehren. Indem er die universelle Herrschaft des erhöhten Christus über die ganze Schöpfung hervorhebt, möchte der Brief von der Weltangst frei machen und die Zuversicht stärken. Ein Ansatz, der auch für heute brennende Aktualität hat.

 

Die Kalksinter­terrassen sind eine Berühmtheit in der Nähe von Hierapolis. Kalkhaltige Thermalquellen lagern den weißen Travertin ab. | Foto: Fatih
Die Wollerzeugung und -verarbeitung brachte der antiken Stadt Kolossä Ansehen und Wohlstand. | Foto: Foto: David
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SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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