Interview: Manfred Erjautz
Der Tod als Stillstand im Tanz

Den Basler Totentanz bringt der Künstler Manfred Erjautz (am Bild in seinem Atelier) ins Gespräch mit den Ängsten unserer Zeit.
3Bilder
  • Den Basler Totentanz bringt der Künstler Manfred Erjautz (am Bild in seinem Atelier) ins Gespräch mit den Ängsten unserer Zeit.
  • hochgeladen von SONNTAGSBLATT Redaktion

Im Gespräch mit Hochschulseelsorger Alois Kölbl erzählt der Künstler Manfred Erjautz von seiner aktuellen Werkschau.

Manfred Erjautz hat als einer der führenden Vertreter skulpturaler Kunst in Österreich bereits ein umfangreiches Werk geschaffen. Während der Corona-Lockdowns hat er sich mit dem historischen Motiv des Totentanzes auseinandergesetzt und Druckgrafiken des berühmten Basler Totentanzes künstlerisch überarbeitet. Mit einer Performance in der QL-Galerie setzt er sich mit dem tanzenden Knochenmann auseinander, die Fastenzeit-Installation in der Grazer Andräkirche und eine umfangreiche Werkschau in der Kultum-Galerie erschließen weitere Aspekte seiner Beschäftigung mit Tod und Vergänglichkeit und dem Kreuz als zentralem Motiv abendländischer Bildgeschichte.

Der Basler Totentanz ist im späten Mittelalter entstanden. Was interessiert dich als zeitgenössischer Künstler daran?
Durch meine Aufenthalte in der Schweiz bin ich mit den Fasnachtfeiern in Luzern in Berührung gekommen, die mich faszinierten. Die Totentanz-Darstellungen in der Spreuerbrücke symbolisieren, dass es keinen Ort in der Stadt gibt, wo der Tod nicht präsent wäre. Mir ist dann ein Buch mit Kupferstichen nach dem berühmten Basler Totentanz in die Hände gefallen, später auch eine Holzschnittserie. Mit einer unglaublichen Expressivität, die ich sofort als sehr gegenwärtig empfand, wird da die Kommunikation des tanzenden Todes mit dem Gerade-Noch-Lebendigen geschildert. Dieser Moment wird durch Rede und Gegenrede verlängert. Das finde ich als Künstler sehr spannend. Keiner entkommt diesem Augenblick.

Im Zeitalter, in dem der Basler Totentanz entstand, war der Tod nicht nur in der Kunst sehr präsent, sondern auch im gesellschaftlichen Leben. In unserer Zeit sind Sterben und Tod erst jüngst durch eine Pandemie und den Krieg in unserer Nachbarschaft plötzlich in eine vorher ungekannte Nähe gerückt. Könnte deine künstlerische Aneignung eines historischen Totentanzes auch damit zu tun haben?
Man kann aus den historischen Darstellungen des Totentanzes sehr viel über das Leben der Leute damals lernen. Alle Stände und Berufe sind dargestellt, der Tod scheint sie durch seinen Tanz zu verführen. Ich mache eigentlich genau das, was der Künstler vor ein paar Jahrhunderten gemacht hat. Ich stelle Momente unseres Alltags zu den historischen Bildern. Unsere Gegenwart besteht plötzlich aus Krieg, der für uns in Europa noch vor Kurzem unvorstellbar war und dem Phänomen einer Pandemie, die wir in unserer Welt nicht mehr für möglich hielten. Alles wird unsicher, das verändert uns Menschen auch in unserem Wesen.

Rückzug und Einsamkeit werden durch die Pandemie zu einem großen Thema und paaren sich mit Sprachlosigkeit angesichts eines sinnlosen Krieges. Das alles brach in kürzester Zeit über uns herein. Diese Gegenwart versuche ich auf die damalige Zeit zu projizieren bzw. buchstäblich aufzudrucken. Das ist für mich ein sehr spannender Aspekt. Ich habe ja die Frechheit nicht eine Kopie zu überarbeiten, sondern die Originalseiten aus dem Buch. Da gibt es für mich auch nur eine einmalige Chance, eine Korrektur ist nicht möglich. Ich reagiere da sehr unmittelbar auf das Dargestellte, so wird das Fallenlassen eines Gegenstandes beim Sterben etwa konfrontiert mit einer Sitzbank vor einem Bahnhof mit ein paar zurückgelassenen Gegenständen oder der Tod und das Kind mit einer verfallenden Hütte auf dem Weg zum Landschaft-Idyll am steirischen Grünen See. Das alles hat direkt mit den Ängsten unserer Zeit zu tun.

Ausstellungs-Eröffnung
Am 2. April lädt das Kultum zur Eröffnung der Ausstellung „Dinge/Things“ (11 Uhr) und die QL-Galerie zur Eröffnungsperformance zur Raum-Installation „Das Echo der Dinge/
The Echo of Things“ (18 Uhr).
In der Grazer St.-Andrä-Kirche ist Manfred Erjautz’ Fastenzeit-Installation bis 15. April zu sehen.
Kultum: bis 17. Juli, Di.-Sa., 11–17 Uhr;
So., 15–18 Uhr. QL-Galerie: bis 1. Mai.
Näheres unter www.kultum.at und khg-graz.at

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ