Mutworte - Ruth Zenkert
Zwei sind besser als einer allein

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Feuerwehr-Übung in der Wohngemeinschaft für behinderte Menschen. Es herrschte große Aufregung. Alle liefen zur Tür und mussten sechs Sprossen auf einer Leiter hinuntersteigen. Tobias war der Letzte. Zitternd stand er vor der kleinen Leiter und rührte sich nicht vom Fleck. Die Erzieher ermutigten ihn: „Komm herunter, das ist nicht schwer.“ Tobias wollte zurück ins Haus. Da kletterte Carolin wieder hinauf, fasste ihn an der Hand und sagte: „Tobi, ich führe dich. Komm, wir wollen doch nachher wieder miteinander malen.“ Tobias wurde ruhiger und stieg hinunter. Als die Aktion vorbei war, saßen die beiden an seinem Tisch und malten.
Carolins Mutter ist vor kurzem gestorben. Der Abschied war schwer. Carolin trug es tapfer, aber manchmal überkam es sie, und sie schluchzte in ihrer Trauer. Dann setzte sich Tobias neben sie, strich ihr zärtlich über den Kopf, hielt sie im Arm. „Carolin, wir sind Freunde. Ich bin immer für dich da.“ So saßen sie, und Carolin war wieder stark. Meine Schwester Carolin, die Trisomie 21 hat, und ihr Mitbewohner Tobias, sie sind ein Geschenk Gottes füreinander.
Allein hätte es Tobias nicht geschafft, die Leiter hinunterzuklettern; Angst blockierte ihn. Die Hand der Gefährtin löste seine Verkrampfung auf. Allein hätte Carolin den Schmerz im Abschied von der Mama schwer ertragen. Das Buch Kohelet führt aus: „Zwei sind besser als einer allein … denn wenn sie hinfallen, richtet einer den anderen auf“ (Koh 4,9).

Ruth Zenkert
ist Mitarbeiterin der von P. Georg Sporschill, Sj., gegründeten sozialen Werke in Rumänien.
Aus: elijah.ro/bimail

Autor:

Ingrid Hohl aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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