Mutworte - Ruth Zenkert
Bogen der Hoffnung

Foto: privat

Breitbeinig versperrt Moldoveanu den Eingang zum Bahnhofskiosk. Nein, Marius darf nicht hinein, er hat Lokalverbot. Unsere Freunde, die seit Jahrzehnten am Bahnhof leben und in keinem Kinderheim, in keiner Notschlafstelle oder sonstigen Hilfseinrichtung durchgehalten haben, sind verzweifelte Menschen am Abgrund. Sie alle haben Probleme mit Alkohol und Drogen. Anders kann man wahrscheinlich die Heimatlosigkeit, die Gewalt und die kalten Nächte nicht aushalten.

Neulich hat Marius eine Riesenschlägerei angefangen, er war betrunken. Der Kioskbesitzer hat ihn rausgeschmissen. In kein anderes Lokal dürfen die heruntergekommenen Gestalten hinein, hier nur dank Moldoveanu. Ich kenne ihn seit bald dreißig Jahren; damals war er ein Kind auf der Straße. Lange hatte ich nichts mehr von ihm gehört – bis uns die Bahnhofsbande erzählte, wo er arbeitet. In einem Plastikzelt auf dem Markt sitzen zweifelhafte Figuren an den Tischen und holen sich etwas zu essen. Moldoveanu sorgt für Ordnung. Er ist der Einzige, der sich vor niemandem fürchtet und bei dem unglückliche Menschen in Frieden essen können.

Es ist wie nach der Flut des Noah. Nach der Katastrophe setzt Gott ein Zeichen für den Bund. Er verwendet den Bogen, der eigentlich ein Kriegsgerät ist. Den Bogen hängt er in die Wolken, wo er zum Regenbogen wird, der das Licht reflektiert. Der Bogen hat das Schreckliche verloren. Es ist ein Miteinander im Zeichen des Regenbogens. Die Flut der Verwahrlosung ist nahe, doch die Sonne der Hoffnung strahlt hinein.

Ruth Zenkert
ist Mitarbeiterin der von P. Georg Sporschill, SJ., gegründeten sozialen Werke in Rumänien. Aus: elijah.ro/bimail

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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