Interview
„Memento mori“ heute

Before I die – bevor ich sterbe … steht auf einer Tafelwand im Univiertel in Graz und lädt ein, mit Kreide festzuhalten, was einem im Leben wirklich wichtig ist. Gertraud Schaller-Pressler sprach mit P. Wolfgang Dolzer, SJ., über Vergängliches und Ewiges. | Foto:  Neuhold
  • Before I die – bevor ich sterbe … steht auf einer Tafelwand im Univiertel in Graz und lädt ein, mit Kreide festzuhalten, was einem im Leben wirklich wichtig ist. Gertraud Schaller-Pressler sprach mit P. Wolfgang Dolzer, SJ., über Vergängliches und Ewiges.
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P. Wolfgang Dolzer, SJ., im Gespräch mit Gertraud Schaller-Pressler über Tod und Leben.

Pater Dolzer, Sie sehen vom John-Ogilvie-Haus der Jesuiten in der Zinzendorfgasse in Graz direkt auf die Tafel „Before I die …“ („Bevor ich sterbe …“), die ein „Memento mori für die Moderne“ sein möchte. Welche Bedeutung hat so ein „Gedenke des Todes“ heute?
„Memento mori“, sei dir der Sterblichkeit bewusst, kommt aus dem Mönchslatein des Mittelalters. Das Erinnern des Todes hat Sinn. Je mehr ich es mir bewusstmache, umso leichter bereite ich mich auf mein eigenes Ableben und Sterben und den Tod vor.
Kaiserin Maria Theresia unterschrieb viele Briefe mit diesem Zusatz – „memento mori“.

Verlangt diese Zeit der Pandemie einen neuen Blick auf den Tod?
Jetzt, in der Corona-Zeit, gibt es körperliche Distanz. Wir dürfen uns nicht mehr berühren. Und man stirbt oft noch einsamer als sonst. Das ist eine riesige Herausforderung. Viele empfinden den Tod als Niederlage. Wenn man den Tod verstehen will, muss
man sich bemühen, das Leben zu verstehen. Wie kann ich von meinem Leben her den Tod deuten? Wie gehe ich damit um?
Man muss jetzt leben. Wenn jemand gestorben ist, ich habe das selbst oft erlebt
in meinem Leben, macht mich das wortlos und stumm. Der Tod ist stumm. Der Tod macht stumm.

Ist für Sie auch das alte Gebet um eine gute Sterbstund’ und zum heiligen Josef, dem Patron der Sterbenden, wichtig?
Ja. Ich bete zum heiligen Josef, zum heiligen Christophorus. Ich habe dem Tod schon paar Mal ins Auge geblickt und frage mich heute noch, wieso ich es überlebt habe. Ich weiß, wie schön das Leben ist, und ich bin dankbar dafür. Wenn es mir geschenkt wird, möchte ich noch lange weiterleben mit meinen Mitbrüdern. Laut Sterbestatistik sollte ich 2037 sterben, aber das stimmt nicht, weil bei Ordensleuten stimmt das nie.

Inwieweit spielt angesichts des Todes das Gottesbild eine Rolle?
Das Gottesbild spielt eine große Rolle! Wenn du Angst hast vorm Tod oder wenn man Menschen Angst macht vorm Gericht, dann hast du ein schreckliches Gottesbild, denn da will ich Gott ja nicht sehen. Ich will nicht gerichtet werden, ich will geliebt werden. Wenn ich in Gott den strengen Richter sehe, der nach dem Tod über mein Leben rigoros urteilen wird, dann werde ich nicht leicht nach dem Tod verlangen. So denken aber viele Christen. Die Hauptbotschaft ist: Gott ist der Treue mit ewiger Liebe. Gott ist die Liebe. Echte Liebe ist immer klar und mit Licht und Freude verbunden. Gott wird etwas schenken, was man noch nie hatte. Eine neue Art der Begegnung.

Was sagen Sie Menschen, die am Ende ihres Lebens zweifeln oder keinen Sinn mehr sehen?
Ich weiß es aus der geistlichen Begleitung von Menschen und kenne selber auch hochbetagte Mitbrüder, da ich einmal in einem Altersheim gewohnt habe, die sagen, sie sehen keinen Sinn mehr. Das klingt schlimm. Aber da ist auch der Mitbruder, der wartet auf Gott „wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser“ (Ps 42). Er möchte endlich den Gott sehen, von dem er ein Leben lang geredet hat. Es scheint paradox, aber wenn ich den Tod aus meinem Leben verdränge, dann ist mein Leben nicht vollständig. Beziehe ich ihn in mein Leben ein, dann bereichert der Tod mein Leben. Der frühe Tod meiner Mutter war der Zugang für mich, das Sterben anderer besser verstehen zu können.

Was kann uns Hoffnung geben?
In jeder Eucharistiefeier bete ich „bis du kommst in Herrlichkeit“. Diese Worte kann man sehr persönlich nehmen. Es gibt nur ein Kommen – er kommt, um mich zu vollenden. Er kommt immer fort aus sich heraus. Es ist Gottes Sehnsucht nach mir. Gott hat Sehnsucht nach uns. Ich gehöre ihm. Wenn Leute sich lieben, dann wollen sie sich gegenseitig. So ist es auch bei Gott, er will mich, auch wenn ich gestorben bin. Es macht mein Leben sinnvoll. Das ist ein Bild.

Ältere Menschen sagen oft, sie könnten nichts mehr tun, nur noch beten. Ist nicht gerade dieses Gebet unendlich wertvoll?
In unserem Orden gibt es ältere Mitbrüder, hinter deren Namen als Hinweis auf ihre Aufgabe steht: Orat pro Eccl. et Soc., er betet für die Kirche und die Gesellschaft Jesu. Der Grund unserer Existenz liegt darin. Was ich Gott geben kann, ist mein Gebet. Jesus hat es nach uns und nach Gott gedürstet – Motivation, mich für Jesus einzusetzen. Jesus hat den Tod schon überwunden, er schaut vom Tod zurück in das Leben. Jesus holt uns in sein Leben. Jesus wird uns auch helfen, den Tod zu überwinden.

Wie sehen Sie selbst die Vergänglichkeit Ihres Lebens?
Ich habe ein positives Verhältnis zu meinem Sterben, weil ich erlebt habe, dass Menschen gut, leicht und zufrieden sterben können. Ich glaube, dass der Tod einen Frieden bringen kann, weil ich es gesehen habe. Man kann nur gut sterben, wenn man für etwas in seinem Leben dankbar ist. Wenn ich nicht dankbar bin, dann kann ich nicht loslassen und somit nicht sterben. Dass ich mein Leben einem anderen verdanke, meinen Eltern, meinen Freunden, dass ich der geworden bin, der ich bin. Wenn ich weiß, dass ich viele schöne Momente im Leben gehabt habe, und dankbar bin für Beziehungen, Freundschaften und für die Liebe.

Teresa von Avila war das „Ich-Sterben“ schon zu Lebzeiten wichtig, damit Gott in ihr leben kann.
„Nur dies Wenige“ – so heißt ein Gebet von Rabindranath Tagore, das ich immer bei mir habe. Das ist mein Gebet, ich kann es auswendig: „Lass nur dies Wenige übrig von mir, dass ich dich nennen darf, mein Alles. Lass nur dies Wenige an Willen in mir, dass ich auf allen Seiten dich fühle und zu dir komme in jedem Ding, meine Liebe dir biete in jedem Augenblick. Lass nur dies Wenige übrig von mir, dass ich dich nie verberge. Lass nur dies Wenige an Fesseln mir, womit mich dein Wille gebunden hat und deine Absicht in meinem Leben erfüllt wird – die Fessel deiner Liebe.“

Sie gehören als Jesuit ja ausgesprochen zur Societas Jesu (SJ), zur Gesellschaft Jesu.
Ich werde von Jesus bereichert. Der Blick auf Jesus verändert auch meinen Blick auf den Tod. Ich möchte sehen, wie das Geheimnis aussieht, dem ich mein Leben gewidmet habe. Wir Menschen sind begrenzt vom Tod. Diese Begrenzung wird allein durch Gott aufgehoben, indem ich mich bekehre. Lebe ich gegenwärtig? Lebe ich im Augenblick? Lebe ich aufmerksam? Irgendwann kann es zu Ende sein. Die Worte „mors“ (Tod) und „vita“ (Leben) haben je vier Buchstaben. Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben. Das Kreuz erträgt alles.

Was bedeutet für Sie Ostern?

Gott ist nicht tot zu mir. Er hat eine Beziehung zu mir, die auch im Tod nicht endet. Das ist das Geheimnis des Ostertages. Das kann uns Christen zum Lachen bringen, im Osterlachen. Was der christliche Glauben vom Leben hält, wird am Ostermorgen offenbart. Am Ostermorgen wird der Tod ausgelacht. Wir haben eine neue Sprache, die stärker ist als der Tod. Gottes Sprache ist die Liebe, ist ein Mysterium. Ostern ist ein Geheimnis, das kann man nicht enträtseln. Ich kann nur hoffen und glauben, dass der Tod von Gott her mich öffnet und anspricht beziehungsweise mir das ewige Leben bietet.

„Before I die …“
Bevor ich sterbe …“, was möchte ich unbedingt noch machen? Diese Frage hat die Künstlerin Candy Chang nach dem Verlust eines geliebten Menschen auf die Wände ihres Hauses in New Orleans geschrieben. Schon am nächsten Morgen waren sie vollgekritzelt mit berührendsten Antworten. 2018 holte Gertraud Schaller-Pressler dieses Kunstprojekt, das bereits in über 5000 Städten zu finden ist, nach Graz.
Die große Tafelwand beim Café paul@paradise in der Zinzendorfgasse 1 lädt besonders in der Fastenzeit ein, innezuhalten und nachzudenken, was wirklich zählt.
Siehe: beforeidieproject.com

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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