Es geht um das Leben

Die Diagnose Krebs verändert das ganze Leben. Sie erinnert den Menschen schmerzlich daran, dass das Leben endlich ist. | Foto: Peter Boccia/Unsplash
3Bilder
  • Die Diagnose Krebs verändert das ganze Leben. Sie erinnert den Menschen schmerzlich daran, dass das Leben endlich ist.
  • Foto: Peter Boccia/Unsplash
  • hochgeladen von SONNTAGSBLATT Redaktion

Von den Erfahrungen bei ihrer Arbeit als Krankenhausseelsorgerin am Onkologie-Schwerpunkt im LKH Fürstenfeld erzählt Magdalena Huss-Rauscher.

Krankheit als Weg, als Chance, das haben mir manche PatientInnen nahegebracht. „Ich bin dankbar für diesen Krebs, sonst wäre ich nie aufgewacht. Ich hätte mich nie gefragt, wofür ich auf der Welt bin.“ Der Krebs hat sie wachgerüttelt.
Der Schwerpunkt Onkologie im LKH Fürstenfeld umfasst drei Stationen: die Männer-Onkologie, die Frauen-Onkologie und eine Palliativ-Station. Dazu gibt es eine onkologische Ambulanz. Jeder Dritte erkrankt in seinem Leben an Krebs. Diese Diagnose wird noch immer als etwas Besonderes gehandelt. Man kann Gesundheit nicht machen, aber man kann sie fördern. Viele Menschen halten Gesundheit für etwas Normales. Das ist sie aber nicht. Gesundheit ist ein Tanz zwischen den Faktoren, die Krankheiten fördern, und denen, die Krankheiten behindern.

Krebs – warum ich?
Einige der KrebspatientInnen sagten: „Ich habe immer versucht, es anderen recht zu machen. Worum es in meinem Leben geht, da habe ich keine Ahnung.“ In dem Moment, wo es auch um den Tod geht, empfinden es manche als ungerecht, dass sie die Krebserkrankung getroffen hat. Das mangelnde Wissen um die Sinnhaftigkeit ihres Lebens verbinden manche mit ihrer Krebserkrankung. Sie haben sich nie gefragt, wofür sie da sind. Krankheit und Elend haben zwei Ursachen: „Es gibt ein Zuwenig von dem, was nährt und nützt, und es gibt ein Zuviel von dem, was zehrt und schadet.“

Krebspatient: „Ich will nicht sterben, weil ich noch nicht gelebt habe.“ „Was haben Sie in den letzten 50 Jahren gemacht?“ „Ja, das war nicht mein Leben.“ Als Krankenhausseelsorgerin auf onkologischen Stationen und auf der Palliativstation habe ich laufend mit PatientInnen und Angehörigen zu tun, mit denen ich existenzielle und spirituelle Gespräche führe. Das ist pures Leben.

Gesundheit ist ein Tanz zwischen Faktoren, die Krankheiten fördern, und denen, die Krankheiten behindern.

Viktor Frankl, der Begründer der Existenzanalyse und Logotherapie, in der ich mich zur Psychotherapeutin ausbilden lasse, sagte einmal: „Sterben und Tod ist die Challenge des Lebens für den Einzelnen schlechthin.“ Was meinte er damit? Jeder Mensch hat Herausforderungen des Lebens zu bestehen, wie einen Schulabschluss, die Matura oder ein Studium, eine Scheidung, den Verlust eines lieben Menschen etc. ... Wenn ich auf der Palliativstation oder Onkologie unterwegs bin, denke ich, dass er damit recht hat.
Christoph Schlingensief, deutscher Schauspieler und Aktionskünstler, an Lungenkrebs erkrankt und mit 50 Jahren verstorben, schrieb in sein Tagebuch, nachdem er die Diagnose erhalten hatte: „Ich bin nicht mehr der, der ich bin, der ich war, und der ich werden wollte.“ Das beschreibt sehr gut den massiv erlebten Haltverlust und die Erschütterung, die durch die Diagnose ausgelöst wurde.

Worauf darf ich hoffen?
Für den Arzt ist die Diagnose-Mitteilung ein Teil seiner Arbeit, für den Patienten ändert sie das ganze Leben. Wie die Diagnose mitgeteilt und von Betroffenen erlebt wurde, ist immer wieder Thema bei seelsorglichen Gesprächen. Hier kann der Boden für Vertrauen gelegt werden. Vertrauen gründet auf Wahrheit. Nach dem Schock kann es hilfreich sein, sich länger beim Patienten aufzuhalten und den Blick wieder auf das Leben zu lenken.
Was gibt jetzt Halt? Was spürt die Patientin ganz persönlich in sich von dieser Krankheit? Wie kann er oder sie sich selbst nahe sein in dieser schweren Zeit? Welche unmittelbaren Auswirkungen hat es auf das Leben? Und immer wieder, so kenne ich es von meiner Arbeit, taucht die Frage auf: Worauf kann ich hoffen? Worauf darf ich hoffen? Traue ich mich zu hoffen? Oder ist die Angst vor der möglichen enttäuschten Hoffnung zu groß?

Hoffnung wird meist erst relevant, wenn es zu einer Belastung kommt, in einer Krise oder wenn Verzweiflung auftaucht. Im existenziellen Sinn begründet sich Hoffnung immer auf dem Boden der Realität. Das Erhoffte muss erlebbar, nachvollziehbar und möglich sein. Aber letztlich bleibt es offen, ob es auch eintritt. Hoffnung ist eine innere Haltung, ein inneres Tun, zu der eine Person fähig ist, anstatt in Ohnmacht und Lethargie zu verfallen. Hoffnung bei Krebskranken und anderen Erkrankten ist eine Möglichkeit, das Leben mit der Krankheit ertragen zu können, weiterzugehen. Die Hoffnung stellt sich der Verzweiflung entgegen und hilft, die Zeiten besser zu überstehen.

Der Weg, eine Begleitung – bis zuletzt
Eine Krebserkrankung ist eine Zeit der Selbsterfahrung. Was erlebt man da, wenn es eng wird? Worauf kann ich jetzt zurückgreifen? Wo sind meine Kraftquellen? Muss ich in meinem Leben etwas korrigieren? Aufgabe ist es, wieder Halt zu kriegen. Dieses Leben auch in schwierigen Phasen zu verantworten und zu gestalten. Tatsächlich ist das Leben mit der Krankheit Krebs oft ein reduziertes Leben, für vieles fehlt die Kraft, oder Schmerzen machen es unmöglich. Dabei geht es um das persönlich Mögliche in der jeweiligen Situation.

Um den Weg der Zuversicht gehen zu können, ist es notwendig, sich der Angst zu stellen. Sich ihr zuzuwenden und sie dadurch auch zu überwinden. Angst vermittelt uns im Zusammenhang mit dieser Krankheit diese unauslöschliche Erfahrung, dass wir letztlich verletzlich sind und sterben werden. Dass das Leben nicht mehr kontrollierbar und verlässlich ist. Der Krebskranke möchte leben. Deshalb hat er Angst, weil er das Sterben und den Tod noch nicht akzeptieren kann. Manchmal zeigt sich in der Angst das Gefühl, noch nicht richtig gelebt zu haben. Dieses versäumte Leben versetzt in Angst und Schrecken. Die Angst will sagen: „Leb endlich!“ Oder: „Leb endlich.“ Alles Unzufriedene, Beziehungslose, hinten angestellte Bedürfnisse und Sehnsüchte werden zum Thema. Auch erlebte Kränkungen, Mutlosigkeit und das eigene Verschieben scheinbar wichtiger Dinge, also auch das eigene Mittun, dass ein erfülltes Leben verwehrt blieb. Da braucht es viel Zeit, um die Ängste zu verstehen und sie ins Leben zu integrieren. Auch mit Krebs gibt es ein Leben, ein Lachen und ein Lieben. Die Angst lässt diese Werte wieder aufleuchten und zeigt, was dem Einzelnen wichtig ist.

Auch mit Krebs gibt es ein Leben, ein Lachen und ein Lieben.

Aber es tauchen auch Fragen auf, die nicht beantwortet werden können. Werde ich an dieser Krankheit sterben? Warum muss ich sterben? Was geschieht nach dem Tod? Nicht alles wird auf dem Lebensweg gelungen sein. Vieles war vielleicht gar nicht möglich. Die Zeit des Sterbens ist in der bewussten Auseinandersetzung meist eine sehr dichte Zeit und im Idealfall eine Versöhnung mit dem Offenen und Unvollkommenen des Lebens.

Durch die Auseinandersetzung mit dem Tod kann eine Dimension hereinkommen, die nicht ausschließt, dass es gut sein kann zu sterben – eine Erlösung, eine Form der Heilung. Das hat nichts mit Resignation zu tun, sondern mit Hingabe zum Leben. Die Konfrontation mit dem Tod verweist den Menschen auf die eigene Religiosität und Spiritualität, auf das Vertrauen eines letzten Gehaltenseins. Gläubige nennen es Gott. Es ist die tiefe Erfahrung, dass Krankheit, auch wenn sie zum Tod führt, mein Sein nicht auflöst. Die Krankheit kann sein, und ich kann sein.
Am tiefsten Punkt ist eine innere Zustimmung spürbar: „Es ist halt so, und ich nehme es an.“ Und genau dort ist Halt spürbar, dort ist Ruhe. Ich kann dieses Karzinom nicht wegmachen, diese Macht habe ich nicht. Das war mein Leben. Sein lassen können, was man nicht ändern kann, ist ein großes Können, eine menschliche Leistung. Offen zu werden für alles, was kommen mag, braucht die Haltung der Demut. Da ist auch Mut drinnen, sich der Wahrheit zu beugen und das Ganze zu sehen: das Leben und das Sterben. Egal ob mit oder ohne Krankheit, es ist immer meine Lebenszeit. Es geht dann nicht mehr so sehr um die Krankheit, sondern um das Leben.

Mag. Magdalena Huss-Rauscher
ist Leiterin der Krankenhausseelsorge im LKH Hartberg und LKH Fürstenfeld.

IM ORIGINALTON

Papst Franziskus ruft zum Welttag der Kranken, am 11. Februar, dazu auf, Kranke zu besuchen.

Vor dreißig Jahren rief der heilige Johannes Paul II. den Welttag der Kranken ins Leben, um das Volk Gottes, die katholischen Gesundheitseinrichtungen und die Zivilgesellschaft für die Notwendigkeit zu sensibilisieren, den Kranken und denen, die sie pflegen, Aufmerksamkeit zu schenken. (...) Es wurden viele Fortschritte erzielt, aber es bleibt noch viel zu tun, um sicherzustellen, dass alle Kranken, selbst an den Orten größter Armut und Ausgrenzung, die nötige medizinische Versorgung und auch die seelsorgerische Begleitung erhalten, damit sie die Zeit der Krankheit in Vereinigung mit dem gekreuzigten und auferstandenen Christus leben können.

Das für diesen dreißigsten Welttag gewählte Thema „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist“ (Lk 6,36), lässt uns vor allem auf Gott schauen, der „reich ist an Erbarmen“ (Eph 2,4). Die Barmherzigkeit ist in der Tat der Name Gottes schlechthin, die ihr Wesen nicht in Form eines gelegentlichen Gefühls zum Ausdruck bringt, sondern als eine Kraft, die in allem, was er tut, präsent ist. Sie ist Stärke und Zärtlichkeit zugleich. (…)
Der Patient ist immer wichtiger als seine Krankheit, und deshalb kann jeder therapeutische Ansatz nicht darauf verzichten, dem Patienten, seiner Geschichte, seinen Ängsten und Befürchtungen zuzuhören. Auch wenn es nicht möglich ist zu heilen, ist es immer möglich zu pflegen, es ist immer möglich zu trösten, es ist immer möglich, den Patienten eine Nähe spüren zu lassen, die das Interesse an der Person noch vor ihrer Pathologie zeigt. (…)

In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, dass die Nähe zu den Kranken und ihre seelsorgerische Betreuung nicht nur die Aufgabe einiger besonders beauftragter Seelsorger ist; der Krankenbesuch ist eine Aufforderung Christi an alle seine Jünger. Wie viele kranke und alte Menschen leben zu Hause und warten auf Besuch! Der Dienst des Trostes ist die Aufgabe eines jeden Getauften, eingedenk der Worte Jesu: „Ich war krank, und ihr habt mich besucht“ ( Mt 25,36).

Welttag der Kranken
Die gesamte Botschaft von Papst Franziskus finden Sie unter www.vatican.va 

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ