Gedenken - Josef Rudolf Woworsky
In Deinem Namen …

„Im Erdengrund“ – Christian Teissl, der sich intensiv mit der Erschließung des Nachlasses von Josef Rudolf Woworsky beschäftigt, stößt bei seiner Arbeit im Diözesanarchiv auch auf unbekannte Gedichte in der Handschrift des Dichters.
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  • „Im Erdengrund“ – Christian Teissl, der sich intensiv mit der Erschließung des Nachlasses von Josef Rudolf Woworsky beschäftigt, stößt bei seiner Arbeit im Diözesanarchiv auch auf unbekannte Gedichte in der Handschrift des Dichters.
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Vor 50 Jahren starb der steirische Gefangenenseelsorger und Schriftsteller Josef Rudolf Woworsky. Sein Nachlass am Diözesanarchiv zeigt das Bild einer facettenreichen Persönlichkeit.

Ein Priester, an einer Lebenswende angelangt, zieht sich in die Einsamkeit zurück. Um dort seine Zweifel jemandem anvertrauen zu können, erfindet er ein Alter Ego und gibt ihm den Namen „Bruder Erdmann“. Das Profil dieses Doppelgängers bleibt vage und unbestimmt – „Ich bin nur Mensch bei Menschen – kein Habit/ Hat aus dem Kreis der andern mich geschält,/ Durch kein Gelübde ward ich Gott vermählt/ Und durch den Chorgang wandert nicht mein Schritt“ –, seinen inneren Auftrag aber weiß er klar zu benennen: „[W]enn die Nacht mit tiefem Schweigen kommt,/ Mensch sich besinnt und Erdreich, was ihm frommt,/ Der Blutgang selber tut, als ob er schliefe,// Schließ ich mich in die Dämmerstube ein/ Recht wie ein Mönch und schreib beim Ampelschein/ An Gott und Brüder fragend meine Briefe.“

„Bruder Erdmanns Briefe“: So heißt ein Sonettenkranz aus dem literarisch ungemein reichen Nachlass des steirischen Priesterdichters Josef Rudolf Woworsky. Begonnen im Herbst 1938, abgeschlossen im Herbst 1943, geschrieben für die Schublade, Zeugnis eines inneren Widerstands gegen eine mörderische Diktatur: „Es ist uns Helm und Harnisch aufgezwungen,/ Das Herz fühlt sich nur zwischen Eisen wohl,/ Drum wuchert Hass, wo Liebe blühen soll,/ Nährt Wunsch den Neid und töten unsre Zungen“. Ein Kommentar zur Zeit im Gewand zeitenthobener lyrischer Meditation, gipfelnd in der Frage: „Wie konntest Du, o Herr, die Lüge schaffen?“
Wer so fragt, ist durch einen schweren Irrtum hindurchgegangen und ringt nun um Klärung und Läuterung. Nicht anders verhält es sich mit dem Verfasser dieser Gedichte. Im März 1938 hatte er den „Anschluss“ Österreichs an Hitlerdeutschland begrüßt; im vielzitierten „Bekenntnisbuch österreichischer Dichter“ ist sein Name zu finden, neben Namen wie Paula Grogger und Max Mell, Rudolf List und Franz Tumler; die Wiener „Reichspost“ brachte am 20. März 1938 sein Gedicht „Volk – Vaterland“, das mit den Versen schließt: „Volk – Vaterland: die volle Ernte winkt,/ Vergessen Kampf und Schweiß, die Fackel glüht/ Und Glocken brausen rauschend übers Land.“

Allerdings: Die „Anschluss“-Euphorie wich rasch der Ernüchterung: Bereits vom September 1938 stammt ein Gedicht, das jenes vom März zu widerrufen scheint: „Sichle, Stunde, nur die Blüten,/ Sichle Tag und Träume ab!/ Eines musst du doch mir lassen:/Was mir meine Mutter gab!// Jenes stille Sich-Versenken,/ Das sich bis zum Grunde kennt,/ Jene Klarheit, die die Lüge/ Lüge, – Wahrheit Wahrheit nennt!“ Es blieb unter Verschluss, und sein Autor verschwand bis zum Ende des Dritten Reichs aus der Öffentlichkeit. Als Gefangenenseelsorger in Graz-Karlau außer Dienst gestellt, wirkte Woworsky während der NS-Zeit als Beamter des Bischöflichen Ordinariats und als Missar der Grazer Leechkirche. Aus dieser Zeit stammt das folgende Morgengebet: „In Deinem Namen geh ich in den Tag –/ In Deinem Namen komme dann, was mag – / Schmerz, Arbeit, Freude, Andacht, Lust und Pflicht,/ Trägt dann dasselbe Zeichen und Gewicht.// Und knüpft der Abend sich den Sternenstrauß,/ Und klingt die Nacht in Traum und Frage aus – / In Deinem Namen lösche ich mein Sein,/ Und bin doch doppelt, trägst nur Du mich, mein.“ Der Priesterdichter und sein Doppelgänger – hier, in dieser Zuversicht, sind sie wieder eins.

CHRISTIAN TEISSL
Quelle für sämtliche Zitate, so nicht anders ausgewiesen: NL Woworsky, DAGS.

Bettlerbitte
Weil ich von Land zu Land geirrt,
Laß mich die Heimat sehen,
Weil ich auf Steigen mich verstrickt,
Lehr mich die Straße gehen!

Weil ich von Tür zu Tür geklopft,
Laß einen Spalt mir offen,
Weil müd gewandert sich mein Fuß,
Lass mich Dein Herz erhoffen!

Weil kalt geblieben meine Hand,
Wärm sie mit Deiner Milde,
Weil ich erfleht kein gütig Wort,
Gib Deines mir zum Schilde!

Weil ich in Hochmut trug mein Haupt,
Lehr’s mich in Demut senken,
Weil ich der Leidenschaft mich gab,
Sollst du mir Gnade schenken!

Weil jeder Zügel mir verhaßt,
Lehr still mein Joch mich tragen,
Und weil die Lieb ich nie gekannt,
Sollst Du mir „Bruder“ sagen!

O komm und bleibe mir zur Seit
Mein Gott, Du, der Barmherzigkeit!

Josef Rudolf Woworsky

Typoskript, datiert mit 20. September 1960, DAGS, NL Woworsky.
Dieses Gedicht ist angelehnt an eine Passage des Buches „Contemplazioni
del mattino e della sera“ von Nino Salvaneschi, einer Sammlung von Meditationen in lyrischer Prosa, die JRW 1951–55 nach und nach ins Deutsche übertragen hat.
Eine in etlichen Details abweichende Variante dieses Gedichts erschien unter dem Titel „Pilgerbitte“ am
16. Mai 1971 im Sonntagsblatt.

„Im Erdengrund“ – Christian Teissl, der sich intensiv mit der Erschließung des Nachlasses von Josef Rudolf Woworsky beschäftigt, stößt bei seiner Arbeit im Diözesanarchiv auch auf unbekannte Gedichte in der Handschrift des Dichters.
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Eine Porträt-Aufnahme zeigt Josef Rudolf Woworsky in der Mitte seines Lebens. | Foto: privat
Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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