4. Fastensonntag | 10. März 2024
Meditation

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Das Lebens-Passwort

Bisher haben 106 Milliarden Menschen auf dieser Erde gelebt. Keine zwei sind völlig gleich. Jeden und jede gibt es nur ein einziges Mal. Mit andern Worten: Es hat mich noch nie gegeben und es wird mich nie mehr geben. Nur ich bin ich geworden, nur ich kann ich sein. Der deutsche Religionsphilosoph Romano Guardini sagt: „Ich bin mir gegeben worden.“ Das heißt: Kein Zufall steht am Anfang meines Lebens, auch kein eigener Entschluss und kein eigenes Bemühen, sondern ein Geschenk. Ich bin mir geschenkt worden. Ich habe mich empfangen.
Damit ist ein Auftrag und eine Verantwortung verbunden: Zu werden, wer ich bin ... Oder positiv formuliert: Ich soll damit einverstanden sein, der zu sein, der ich bin. Einverstanden, die Eigenschaften zu haben, die ich habe. Einverstanden, in den Grenzen zu stehen, die mir gezogen sind.

Diese Grenzen werden mit den Jahren immer deutlicher: Ich bin nicht alles, ich kann nicht alles und ich habe nicht alles. Vieles gelingt nur halb, einiges auch gar nicht. Und am Schluss stoße ich an die absolute Grenze all meiner Möglichkeiten: die Endlichkeit.

Als alter Mann hatte Romano Guardini einen seltsamen Traum. Er hörte eine Stimme, die ihm sagte, dass jedem Menschen ein Wort mit auf den Weg gegeben werde. Dieses Wort sei wie ein Passwort zu allem, was im Verlaufe des Lebens geschieht. Am Ende seines Weges angekommen, hat Guardini die Gewissheit gefunden, dass sein Leben, wie das Leben eines jeden andern Menschen auch, unter einer Bestimmung steht. Es ist der Willkür des Zufalls entrissen. Es hat seinen Sinn. Guardini hat diese Einsicht auf einen Zettel notiert, den man in seinem Nachlass fand. Er sagt nichts weiter zu diesem Wort, das wie ein Stern über jedem Leben leuchtet - und für jeden Menschen anders ist. Es wäre schön, dieses eine Wort zu kennen. Doch so ist es selten. Meist bleibt es im Dunkeln und ist kaum zu entziffern. Eine leise Ahnung muss genügen. Vermutlich ist es ein Wort ohne Worte, näher beim Schweigen als bei der Sprache. Aber allein die Vermutung, dass es ein solches Wort geben könnte, stimmt zuversichtlich.

Aus: Lorenz Marti, Wer hat dir den Weg gezeigt?, Herder Verlag 2007.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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