Taufe des Herrn | 8. Jänner 2023
Meditation

Wo ist Gott eigentlich?

Seewald:Die Frage, die uns immer wieder neu beschäftigt: Wo ist dieser Gott eigentlich, von dem wir sprechen, von dem wir uns Hilfe erhoffen? Wie und wo kann man ihn verorten? Wir sehen jetzt immer weiter in das Universum hinaus, mit den Milliarden von Planeten, den zahllosen Sonnensystemen, aber wo wir bislang auch hinschauen können – nirgendwo ist so etwas, was man sich als Himmel vorstellen könnte, in dem Gott angeblich thront.
Papst Benedikt: (Lacht.) Ja, weil es so was nicht gibt, einen Ort, wo er thront. Gott selber ist der Ort über allen Orten. Wenn Sie in die Welt hineinschauen, sehen Sie keinen Himmel, aber Sie sehen überall die Spuren Gottes. Im Aufbau der Materie, in der ganzen Rationalität der Wirklichkeit. Und auch wo Sie Menschen sehen, finden Sie Spuren Gottes. Sie sehen das Laster, sehen aber auch die Güte, die Liebe. Das sind Orte, wo Gott da ist.
Man muss sich völlig von diesen alten räumlichen Vorstelllungen lösen, die allein schon deswegen nicht mehr funktionieren, weil das All zwar nicht unendlich im strengen Sinn des Wortes ist, aber doch so groß, dass wir Menschen das als unendlich bezeichnen dürfen. Und Gott nicht irgendwo drinnen oder draußen sein kann, sondern seine Gegenwart ist eine ganz andere.
Das ist wirklich wichtig, dass wir in vielem unser Denken erneuern, diese räumlichen Dinge ganz wegschaffen und neu kapieren. So wie es auch unter Menschen die seelische Präsenz gibt – es können sich zwei Menschen über Kontinente hin berühren, weil dies eine Dimension ist, die anders ist als die räumliche –, so ist Gott nicht in einem Irgendwo, sondern er ist die Realität. Die Realität, die alle Realität trägt. Und für diese Realität brauche ich kein „Wo“. Weil „Wo“ bereits eine Eingrenzung ist, schon nicht mehr der Unendliche, der Schöpfer ist, der das All ist, der alle Zeit überspannt und nicht selber Zeit ist, sondern sie schafft und immer gegenwärtig ist. …
Sie sind nun, wie Sie das ausdrücken, in der letzten Lebensphase. Kann man sich auf den Tod vorbereiten?
Man muss es sogar, denke ich. Nicht in dem Sinne, dass man jetzt schon bestimmte Akte vollzieht, aber innerlich daraufhin lebt, dass man einmal ein letztes Examen vor Gott besteht. Dass man herausgeht aus dieser Welt und vor Ihm und vor den Heiligen und vor den Freunden und Nichtfreunden da sein wird. Dass man, sagen wir, die Endlichkeit dieses Lebens annimmt und innerlich darauf zugeht, vor Gottes Angesicht zu kommen.
Wie machen Sie das?
Einfach in meiner Meditation. Dass ich immer wieder daran denke, dass es zu Ende geht. Dass ich versuche, mich dafür einzurichten und, vor allem, mich präsent zu halten. Das Wichtige ist eigentlich nicht, dass ich mir das vorstelle, sondern dass ich in dem Bewusstsein lebe, das ganze Leben geht auf eine Begegnung zu.

Aus: Benedikt XVI., Letzte Gespräche, Interview mit Peter Seewald, Droemer Verlag, München 2016.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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