30. Sonntag im Jahreskreis | 25. Oktober 2020
Meditation

Foto: pixabay/CC0

Für Brave, für Strizzis
„Kerzerlschlucker, schauts liaber, dass eire Oaschlöcher ned bei de Nochbarn die Hittn zerlegen!“ Mit diesen rauen Worten erwartete mich der Polizeiinspektor nach der Messe vor der Hauskapelle. Das war vor dreißig Jahren im Jugendhaus der Caritas in Wien. Am Kragen hielt er den betrunkenen Horstl, der kaum noch stehen konnte. Horstl hatte im Gasthaus um die Ecke eine Schlägerei begonnen. Der Wirt hatte die Polizei geholt, doch außer Inspektor Matthias wagte keiner sich zu den gewalttätigen Burschen. Matthias wurde unser Kontaktbeamter. Der „Kieberer“ war für unsere Schützlinge eine Autorität, er kannte die richtige Sprache für sie und setzte sich für sie ein. Auch wir Mitarbeiter hatten Respekt vor ihm. Manchmal blieb er auf einen Kaffee. Einmal schaffte ich es, dass er zur Messe blieb. Wir ließen die Kapellentüre offen, und er stellte sich ganz ans Ende des Ganges und rauchte. Dann wurden wir versetzt, Matthias in ein anderes Kommissariat und ich nach Rumänien. Wir verloren uns aus den Augen.
Eines Tages rief er mich an, viele Jahre später. Er habe eine Bitte. Ob ich nicht in seiner Gemeinde bei einer Wallfahrt predigen könne. Ich traute meinen Ohren nicht. „Matthias, was für eine Gemeinde?“ Ich musste zweimal nachfragen. Da war wieder sein strenger Polizeiton: Red nicht lang herum, komm! Ich fuhr hin. Nicht viele Wallfahrer kamen, treue Kirchgänger zogen mit einer Marienfahne ein. In der ersten Reihe nahm Matthias Platz, und neben ihm – ich kannte das Gesicht – ja, es war Horstl! Matthias hat mit den Schwierigsten, die aus dem Gefängnis gekommen waren, über all die Jahre Kontakt gehalten. Er begleitet Horstl und einige der anderen „Oaschlöcher“ in Freundschaft, hilft ihnen bei der Arbeitssuche und lädt sie in sein Haus ein. Er hat es geschafft, dass Horstl nicht mehr trinkt. In der Gemeinde, in der Matthias jetzt lebt, unterstützt er den Monsignore, er ist der gute Geist für alles und der Mesner, der die Kerzen anzündet, die angeblich andere schlucken.
Zwei Wege des Glaubens sind in dieser Geschichte beschrieben. Der eine führt über Schwierigkeiten zum Glauben. Matthias musste sich den Weg erkämpfen. Den anderen Weg gehen die Wallfahrer und der Monsignore, die sich wundern über die „ungläubige Jugend, die nicht in die Kirche geht“. Sie machen sich Sorgen und beten für sie.
Der Weg der Braven oder der Schwierigen, der Kindlichen oder der Kritischen. Welchen Weg zum Lebensglück darfst du gehen?

Ruth Zenkert erzählt von diesem und anderen
Erlebnissen aus ihrer Arbeit mit Obdachlosen in Wien sowie Straßenkindern und verarmten Familien in Rumänien in dem Buch „Mit Feuer vom Himmel“, zusammen mit P. Georg Sporschill, SJ., Amalthea
Signum Verlag 2019. – Näheres: www.elijah.ro

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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