27. Sonntag im Jahreskreis | 4. Oktober 2020
Meditation

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Die Gesetze des Damspiels

An einem Tage des Chanukkafestes kam Rabbi Nachum unerwartet ins Lehrhaus und fand die Schüler beim Damspiel. Er nickte ihnen freundlich zu und sagte: „Ich will euch die Gesetze des Damspiels sagen. Das erste ist, man darf nicht zwei Schritte auf einmal gehen. Das zweite, man darf nur vorwärts gehen und sich nicht rückwärts kehren. Und das dritte, wenn man oben ist, darf man gehen, wohin man will.“ Martin Buber

Rabbi Nachum hat erkannt, dass sich hinter den Regeln des Damspiels bedeutsame Lebensregeln verbergen. Auch in unserem Alltag haben wir häufig die Vorstellung, wir sollten nicht Schritt für Schritt vorangehen, sondern gleich große Sprünge machen. Und nun werden wir belehrt: Es ist immer ein einziger Schritt, der getan werden muss, und wenn dieser Schritt getan ist, kann ich mir überlegen, welcher Schritt nun gewagt werden soll. Der Übereifer ist von Übel, weil ich noch nicht voraussehen kann, wie sich die Situation verändert.
Die zweite Regel besagt, dass ich nicht gleich wieder einen Rückzieher machen kann. Der Weg führt nach vorn, dort muss ich das Ziel suchen. Würde ich dauernd zurückzucken und gleich wieder Angst vor der eigenen Courage bekommen, wie sollte ich da jemals vorankommen?

Aber es gibt noch eine dritte Regel: Wer Erfahrungen gesammelt und sich ins Lebensspiel eingeübt hat, der ist zu einer größeren Freiheit durchgestoßen: Er kennt das ganze „Feld“, überschaut die Zusammenhänge und ist auch in der Lage, größere Sprünge zu machen und taktische Umwege einzuplanen.

Ist es im geistigen Leben nicht ganz ähnlich? Mancher Gutwillige versucht, Zugang zu einem spirituellen Leben zu finden, aber er überfordert sich und möchte gleich alle Psalmen beten oder es mit langen Phasen meditativen Schweigens versuchen. Und wenn er auf Schwierigkeiten stößt, dann gibt er die Bemühung schnell wieder auf. Ist es nicht besser, es mit kleinen Schritten zu versuchen? Vielleicht reicht es ja, einen einzelnen Psalmvers zu finden, bei dem man verweilen kann. Oder man nimmt sich vor, am Morgen wenigstens zehn Minuten still zu werden, um sich auf den Tag einzustellen. Es käme aber darauf an, mit einer gewissen Stetigkeit voranzugehen und das, was man sich vorgenommen hat, auch durchzuhalten, es nicht auf die jeweilige Lust oder Laune ankommen zu lassen.

Aus: Otto Betz, Die Kostbarkeit der Seele, Vier-Türme-Verlag

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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