7. Sonntag im Jahreskreis | 19. Februar 2023
Kommentar

Ist Feindesliebe naiv?

Der ukrainische Präsident Volodymyr Selenskyi tourte letzte Woche durch europäische Hauptstädte und dankte für die Unterstützung seines Volkes. Das ständig wiederkehrende Mantra bei seinen Ansprachen: „Bitte mehr Waffen!“ Dieser Krieg wirft auch die ethische Frage nach der Legitimität militärischer Gewaltanwendung mit neuer Vehemenz auf. Wie ist die Forderung nach Waffenlieferungen und das Recht auf die gewaltsame Verteidigung der staatlichen Souveränität aus der Warte christlicher Werte zu beurteilen? Was bedeuten in diesem Kontext das Gebot der Feindesliebe und die Aufforderung Jesu, dem Bösen keinen Widerstand zu leisten? Ist die Bergpredigt angesichts der Brutalität eines Krieges zu realitätsfremd oder gar naiv?

Ich kann diese diffizile Frage auch nicht beantworten. Aber mir ist am Beginn der russischen Invasion vor einem Jahr schon der Gedanke gekommen: Was würde passieren, wenn das ukrainische Volk auf Waffengewalt verzichtet, die russischen Soldaten friedlich in Empfang nimmt und zugleich die Okkupation politisch zurückweist und durch zivilen Ungehorsam unterwandert? Ich weiß nicht, ob eine solche Strategie Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Wahrscheinlich hätte sie aber viele Menschenleben verschont, viel Leid und Zerstörung verhindert. Langfristig lässt sich kein Land gegen den Widerstand der Bevölkerung regieren.

Jesus sagt, jene, die keine Gewalt anwenden, werden das Land erben. Ihnen gehört also die Zukunft. Auch der Ansatz der Feindesliebe hat wohl mehr Potenzial, der Menschheit eine Zukunft zu ermöglichen, als Gewalt und Vergeltung.

Alfred Jokesch

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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