Schöpfung im Klimawandel | Teil 8
„Wir legen pro Tag drei Wege außer Haus zurück“

Elektromobilität im Vormarsch: Elektroautos sind schwerer als Fahrzeuge mit einem Verbrennermotor, weil ihr Akku heute noch viel Gewicht ins Auto bringt. Voraussetzung für eine klimaschonende E-Mobilität ist, dass der dafür benötigte Strom aus Ökostromanlagen stammt.
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  • Elektromobilität im Vormarsch: Elektroautos sind schwerer als Fahrzeuge mit einem Verbrennermotor, weil ihr Akku heute noch viel Gewicht ins Auto bringt. Voraussetzung für eine klimaschonende E-Mobilität ist, dass der dafür benötigte Strom aus Ökostromanlagen stammt.
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In einer mehrteiligen Serie widmet sich das SONNTAGSBLATT den brennenden Fragen der Schöpfungsverantwortung angesichts des Klimawandels und der Erderwärmung.
von Markus A. Langer

In Folge 8 zeigt sich Verkehrsplaner Harald Frey überzeugt, dass der Elektromobilität die Zukunft gehört – auch wenn es noch einige Herausforderungen zu bewältigen gilt. Er plädiert auch für den Ausbau der Radinfrastruktur in städtischen wie auch ländlichen Regionen.


Was verstehen Sie unter Mobilität?
Harald Frey: Mobilität ist in erster Linie ein Ausdruck eines Mangels am Ort. Wenn man im Wohnzimmer sitzt und Hunger bekommt, muss man Mobilitätsaufwand betreiben und in die Küche gehen. Mobilität hat einen Zweck. Es gibt einen Grund, warum ich zur Arbeit muss oder Freunde besuche. Oder ich bin zu Freizeitaktivitäten oder Ausbildungszwecken unterwegs. Mobilität ist die Zahl der Wege außer Haus. Und diese ist relativ konstant über die letzten 100 Jahre: Wir legen ca. drei Wege pro Tag außer Haus zurück.

Wie ist es dazu gekommen, dass die ganze Welt auf das Auto aufgesprungen ist?
Das Auto erwischt uns auf einem ganz tiefen evolutionären Bereich, nämlich dem Energiehaushalt. Das heißt, es ermöglicht uns, lange Strecken mit ganz hohen Geschwindigkeiten ohne nennenswerten Körperenergieaufwand zurückzulegen. Das gab es noch nie in der Evolution, und das fasziniert uns maßgeblich. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Österreich die Massenmotorisierung eins zu eins aus den USA übernommen. Viele Bauingenieure meiner Disziplin sind damals in die USA geschickt worden, um dort die Ausbildung zu machen. Als Verkehrsplaner sind sie mit dem „Highway Capacity Manual“, der Bibel für den Autobahnbau und die Straßendimensionierung, zurückgekommen und haben das Gelernte einfach bei uns umgesetzt. Für die Faszination der Geschwindigkeit und der mühelosen Fortbewegung hat man alles aus dem Weg geräumt. Lange Zeit hat man die historischen Städte an das Auto angepasst und autogerecht umgebaut. Auch wurden historische Gebäude abgerissen, wie etwa die Rauchfangkehrerkirche in Wien.

Bis 2040 soll Österreich klimaneutral sein. Ein Problembereich ist der Verkehr, dessen Treibgasemissionen seit 1990 massiv gewachsen sind. Welche Maßnahmen sind notwendig, um die Klimaziele zu erreichen?
24 Millionen von insgesamt 77 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß erreichen wir pro Jahr im Verkehrssektor, zwei Drittel etwa aus dem Personenverkehr, ein Drittel aus dem Güterverkehr. Wenn es um das Thema CO2 geht, werden wir nicht um die Elektromobilität herumkommen. Eine Maßnahme zur Reduzierung der Treibgasemissionen kann – so haben zahlreiche Studien bewiesen – die Einführung von reduzierten Tempolimits sein. Vor allem 80 km/h auf Freilandstraßen halte ich für ganz maßgeblich. Der Anteil der Landesstraßen, wo wirklich Tempo 100 gefahren werden kann, liegt marginal im einstelligen Prozentbereich. Immer wieder fährt ein Bus oder ein Traktor vor dem eigenen Fahrzeug, und es gibt zahlreiche Ausnahmeregelungen.

Eine massive Förderung des Radverkehrs wäre wünschenswert. Hier gibt es positive Beispiele in manchen Gemeinden, aber es könnte noch viel mehr geben. Ein Gedankenspiel: Der Supermarkt in der Nachbargemeinde liegt eineinhalb oder zwei Kilometer entfernt, eine bequeme Radfahrdistanz. Aber da es keinen Radweg gibt, nur eine Landstraße mit Tempo 100, werde ich an einem Herbstabend um 17:30 Uhr wahrscheinlich nicht neben dem vorbeirauschenden LKW mit dem Fahrrad fahren, obwohl die Distanz so kurz wäre. Wenn wir uns das genauer ansehen: 7 Prozent der Autowege in den peripheren Regionen sind 1 Kilometer lang, fast 20 Prozent sind kürzer als 2,5 Kilometer. Da gäbe es ein nennenswertes Potenzial in der Verlagerung.

Ist die E-Mobilität das Allheilmittel?
Nein, ganz und gar nicht. E-Autos werden als nationaler Beitrag zur Reduktion der CO2-Emissionen gesehen. Das mag in Österreich noch funktionieren, weil wir einen nachhaltigen Strommix im Gegensatz zu Deutschland oder Polen haben. Es ist ein bisschen eine Greenwashing-Geschichte, wenn 2,8-Tonnen-Fahrzeuge werbetechnisch mit „Null Gramm CO2“ herumfahren, obwohl wir wissen, es schaut in Wirklichkeit anders aus. Der Elektromotor ist etwa dreimal effizienter als ein Fahrzeug mit einem konventionellen Verbrennungsmotor. Dieser Vorteil verpufft, wenn das E-Auto drei Tonnen im Vergleich zum 1 Tonnen schweren Verbrennerauto wiegt. Was wir auch nicht vergessen dürfen, ist die graue Energie in den Fahrzeugen, was heißt, es muss alles neu produziert werden. Ich bin ein Anhänger davon, in erster Linie das zu nutzen, was schon da ist, bevor Dinge neu gebaut werden.

Wer die Mobilität verändern will, muss beim Wohnen ansetzen. Was heißt das?
Zwei Drittel der Wege beginnen und enden beim Wohnort. Die Strukturen vor meiner Wohnung bestimmen maßgeblich die Verkehrsmittel. Wesentlich dabei ist die Siedlungs- und Flächenwidmungspolitik einer Gemeinde. Wenn ich nicht rund um den Bahnhof oder eine Bushaltestelle bauen lasse, sondern irgendwo fernab, nur weil es gerade dort opportun ist, dann brauche ich mich nicht wundern, dass die Leute nachher mit dem Auto unterwegs sind. Es gibt den schönen Spruch eines Schweizer Bautechnikers: „Es ist viel sinnvoller, die alte Dorfschule zu erhalten, als die Schüler mit einem Postbus auf der ausgebauten Landesstraße täglich in die Nachbargemeinde zu führen.“

Haben Sie selbst ein Auto, wie sind Sie mobil?
Ich bin unter der Woche meistens zu Fuß oder mit dem Fahrrad in Wien unterwegs, außerhalb davon meistens mit dem öffentlichen Verkehr. Ich besitze noch ein Auto, teile mir dieses mit meiner Lebenspartnerin, und wir verwenden es ganz selten. Ich bin wahrscheinlich ein Opportunist, was die Verkehrsmittel betrifft. Meistens habe ich mein Leben so organisiert, dass ich 98 Prozent meiner Wege gut im Umweltverbund zurücklegen kann. Trotzdem gibt es 2 Prozent meiner Wege im Jahr, wo ich mit dem Auto fahren muss. Sonst komme ich dort nimmer hin oder von dort nimmer zurück.

Ich bin da sehr pragmatisch, und deswegen kann ich auch Leute verstehen, wenn sie sagen, wir sind abhängig vom Auto, wir brauchen es, um dort oder dort hinzukommen. Wenn Sie in einer Siedlung wohnen, wo der nächste Nahversorger sechs Kilometer weg ist, die nächste Schule sieben Kilometer usw., geht das nicht mehr anders. Man muss versuchen zu verstehen, warum diese Strukturen so entstanden sind. Der Fingerzeig auf den Einzelnen ist immer sehr problematisch. Ich zeige lieber auf die, die das System in diesen Zustand gebracht haben. Dort liegt doch die Verantwortung.

E-Fuel- oder Elektroautos?

Ab 2035 sollen innerhalb der Europäischen Union nur mehr Fahrzeuge mit Verbrenner-motor neu zugelassen werden können, die mit klimaneutralen Kraftstoffen (E-Fuels) betrieben werden. Bereits vor 2035 zugelassene Fahrzeuge dürfen weiterhin fahren.
E-Fuels, synthetische Kraftstoffe, haben ähnliche Eigenschaften und chemische Zusammensetzungen wie konventionelle Kraftstoffe. Sie sind kohlenstoffhaltig und flüssig. Hergestellt werden sie aus Wasserstoff und dem Treibhausgas Kohlendioxid: Wasser wird unter Einsatz von Strom in Wasserstoff und Sauerstoff
aufgespalten, der Wasserstoff wird dann mit CO2 zu Kraftstoff verarbeitet.

Wie klimafreundlich sind E-Fuels?
Da E–Fuels bei der Produktion CO2 aufnehmen – aus Produktionsanlagen oder aus der Luft – und bei der Verbrennung wieder abgeben, gelten sie in der Theorie als klimaneutral.
Dies gilt allerdings nur dann, wenn für die bei der Produktion benötigte Energie ausschließlich Ökostrom verwendet wird.

Wie effizient sind E-Fuels?
Der Einsatz von E–Fuels in Verbrennungsmotoren von PKWs ist laut übereinstimmender Experten-Meinung hochgradig ineffizient. Sie haben einen Wirkungsgrad von zehn bis 15 Prozent. Das bedeutet: Nur ein Bruchteil des in der Produktion von E-Fuels eingesetzten Stroms kommt am Ende in der Maschine an. Der Wirkungsgrad von elektrisch betriebenen Autos – die den Strom ohne aufwendige Umwandlungsprozesse nutzen – liegt laut Analyse der Austrian Energy Agency fünf bis sechsmal höher (74 %). Selbst Wasserstoff ist deutlich effizienter als E-Fuels (30 %), aber ebenfalls ineffizienter als ein reiner Elektro-Antrieb.

Elektromobilität im Vormarsch: Elektroautos sind schwerer als Fahrzeuge mit einem Verbrennermotor, weil ihr Akku heute noch viel Gewicht ins Auto bringt. Voraussetzung für eine klimaschonende E-Mobilität ist, dass der dafür benötigte Strom aus Ökostromanlagen stammt.
Harald Frey ist Senior Scientist am Forschungsbereich für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik der TU Wien.
Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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