Trau dich, es ist dein Leben | Teil 03
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„Mut ist, wenn wir uns wie Vollblutmusiker von etwas Größerem ergreifen lassen.“ | Foto: Foto: Shutterstock/Italo Osorio
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  • „Mut ist, wenn wir uns wie Vollblutmusiker von etwas Größerem ergreifen lassen.“
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Kevin Surace, vom amerikanischen Wirtschaftsmagazin „Inc.“ zum Unternehmer des Jahres 2009 gekürt, wurde gefragt: „Worin sehen Sie das größte Hindernis für Kreativität und Innovation?“ Er antwortete, es bestünde in der Angst, sich kreativ einzubringen und dafür dann verspottet, ausgelacht oder herabgesetzt zu werden.

Eine solche Angst kennen viele. Denn es birgt immer ein Risiko, wenn wir unsere Kreativität zum Zug kommen lassen. Etwa wenn wir ein selbst gemaltes Bild oder ein von uns entworfenes Kleid präsentieren. Wenn wir singen oder tanzen. Oder wenn wir im Berufsleben eine ungewöhnliche Idee im Team präsentieren und einfach einmal querdenken. Vor unserem inneren Auge werden wir bereits ausgelacht: für unsere peinlichen Ideen, für unsere unterirdischen Fähigkeiten, für unsere naive Denkart und im schlimmsten Fall für unser ganzes unbedeutendes Dasein. Die Angst sitzt uns im Nacken, was andere denken und sagen könnten. Und was ihr Echo in uns auslöst an Wut, Scham oder Trauer.

Wie nehmen wir unseren Ängsten die Macht, uns unsere Kreativität zu rauben? Was stärkt den Mut, die eigenen schöpferischen Kräfte „mit Schmackes“ zum Zug kommen zu lassen?

Ein Erstes: Wenn Angst an mir nagt und mich beispielsweise beim Schreiben eines Artikels blockiert, dann rufe ich mir in Erinnerung: „Es ist ganz normal, dass ich bei meinem kreativen Tun Angst spüre. Denn ich zeige etwas von mir und setze mich dem Urteil anderer aus.“ Dieses Wissen hilft, denn es entdramatisiert meine Not.

Natürlich: Die Angst macht sich dadurch nicht vom Acker. Um mit ihr besser klarzukommen, nehme ich sie einfach wahr und ernst. Ich versuche, ihr Auge in Auge gegenüberzustehen. Ihr zuzuhören. Und sie ins Gebet zu nehmen. Oft tritt dann zutage, dass die Angst nicht sehr realistisch argumentiert, sondern eher wie eine Fünfjährige daherkommt. Und welche verängstigte Fünfjährige scheucht man schon fort? Ich nehme meine Angst in den Arm. Und ich frage sie, ob „die anderen“ tatsächlich mein kreatives Tun peinlich und mich unzulänglich finden. Oder ob sie mir das einredet. Häufig atmen wir dann gemeinsam auf, denn: Ja, so ist es!

Ein Zweites: Das Streben, Dinge 110-prozentig zu erledigen, darf nicht mit dem Bemühen verwechselt werden, etwas besonders gut zu machen. Das Vollkommenheitsstreben soll einem vielmehr Kritik und Tadel vom Hals halten und Anerkennung verschaffen. Perfektionismus ist ein unbewusster Versuch, der eigenen Verletzlichkeit zu entkommen und sich unangreifbar zu machen. Doch weder lässt sich Vollkommenheit erreichen, noch können wir unsere Verletzlichkeit ausschalten. Daher lässt sich die Angst vor dem Urteil anderer und vor der eigenen Unzulänglichkeit mit Perfektionismus nicht austreiben. Wer dies versucht, macht den Bock zum Gärtner. Er wird sich noch krampfhafter darin verbeißen, alles 110-prozentig zu machen. Seine schöpferische Ader kommt nicht zum Tragen, und den von ihm geschaffenen Dingen haftet etwas Zwanghaftes an.

Ganz bei der Sache

Ganz anders, wenn jemand in seinem Tun ganz bei der Sache ist. Wenn sich jemand im besten Sinn selbstvergessen in die Waagschale wirft, anstatt ängstlich auf sich und seine Außenwirkung zu schielen. Für mich unvergesslich: ein Friedenskonzert von jungen Musikerinnen aus Israel und Palästina mit dem Dirigenten Daniel Barenboim. Sich der Musik hingebend, waren die Instrumentalisten nicht Darsteller ihres Könnens, sondern Klangkörper für die Musik. Es kam mir so vor, als würde das Orchester abheben und zu fliegen beginnen – und uns alle mitnehmen.

Mut ist, wenn anderes wichtiger wird als unsere Angst. Wenn wir uns wie Vollblutmusiker von etwas Größerem ergreifen lassen, dann werden wir unsere Talente und Gaben mutig einbringen. Wird anderes wichtiger als die Angst um das eigene Ich, dann gewinnen wir eine neue schöpferische Freiheit: Wir richten unser Bemühen auf das, was wir tun – anstatt darauf, wie wir bei den anderen ankommen oder wie perfekt wir sind. Wir werden fähig, das zu geben, was nur wir zu geben vermögen.

All das verleiht eine tiefe innere Zufriedenheit! Und diese Zufriedenheit trägt auch dann noch, wenn das Ergebnis nicht so ausfallen sollte wie erhofft.

Natürlich, zu scheitern ist nicht schön. Ja, es kann äußerst wehtun! Doch es gibt einen wesentlichen Unterschied, wie man eine solche Geschichte im Nachhinein erlebt. Der Unterschied liegt darin: Habe ich mich der Sache ganz hingegeben, oder bin ich mit angezogener Handbremse gefahren? Und: Habe ich meine Werte gelebt, oder hat anderes den Ton angegeben, vielleicht meine Gleichgültigkeit, meine Angst oder der Wunsch nach Anerkennung?

Im Menschen wohnt ein innerer Drang, nicht an sich selbst kleben zu bleiben, sondern sich für andere und anderes zu öffnen. Verlieren wir uns selbst aus den Augen, weil wir ganz bei einer Sache oder einem Menschen sind, dann durchströmt uns tiefes Glück. Wo wir ganz „hin und weg“ sind, sind wir ganz da. Und wer sich einmal unsterblich verliebt hat, der oder die hat die „Deadline“ des Todes schon überschritten.

Verlieren wir uns selbst aus den Augen, weil wir ganz bei einer Sache oder einem Menschen sind, 
dann durchströmt uns tiefes Glück.“


Melanie Wolfers

„Mut ist, wenn wir uns wie Vollblutmusiker von etwas Größerem ergreifen lassen.“ | Foto: Foto: Shutterstock/Italo Osorio
Foto: Manuela HOLZER-HORNY
Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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