Erste Hilfe für die Seele | Teil 01
Psyche und Seele gehören zusammen

Der Glaube, dass ich in Gottes Hand geborgen bin, kann mir Trost, Kraft, Mut und Geduld geben. | Foto: Waldhäusl
  • Der Glaube, dass ich in Gottes Hand geborgen bin, kann mir Trost, Kraft, Mut und Geduld geben.
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Sie bieten Exerzitien an und arbeiten auch als Psychotherapeut. Geht da manchmal eines in das andere über?
Natürlich. Es ist nicht immer leicht, zwischen Psyche und Seele, zwischen Psychischem, Therapeutischem und Spirituellem, Seelsorgerlichem zu unterscheiden. Einerseits finde ich wichtig, dass man das eine mit dem anderen nicht vermischt, andererseits lässt es sich auch nicht ganz voneinander trennen.

Menschen, die zu Exerzitien ins Kardinal-König-Haus kommen, haben zunächst ein spirituelles Anliegen. Sie wollen ihre Beziehung zu Gott vertiefen. Dabei begegnen sie aber sich selbst und damit Hellem und Dunklem in sich – Prägungen, Schwierigkeiten, Konflikten. Die haben natürlich eine psychische Ebene. In der Ausrichtung auf Gott, im Betrachten der Heiligen Schrift, im einfachen Dasein vor dem Herrn, unterstützt durch Begleitgespräche, kann sich vieles ordnen, lösen, geheilt werden. Ich bin immer wieder erstaunt, beeindruckt und berührt, was eine Woche in der Stille, eine Woche, in der ich Gott und sein Wort in den Mittelpunkt stelle, bewirkt. Und die Menschen spüren das, sie sagen es mir auch.

Exerzitien haben eine therapeutische Wirkung, auch wenn es sich dabei nicht um eine ausdrückliche Psychotherapie handelt.

Wenn Sie als Psychotherapeut arbeiten, spielen da Glaube und Spiritualität auch eine Rolle?
Ja, indirekt immer, manchmal auch direkt, ausdrücklich. Als Psychotherapeut arbeitet man ja vor allem mit seiner Person. Und der Glaube gehört nun einmal zu mir. Da die Leute, die zu mir in Psychotherapie kommen, wissen, dass ich Jesuit und Priester bin, kommen Fragen des Glaubens, die sie beschäftigen, immer wieder zur Sprache. Mit meinem theologischen und spirituellen Hintergrund ist es mir möglich, Menschen zu entlasten beziehungsweise zu stärken. In der Psychotherapie geht es ja um Gesund-Werden. Und dazu gehört auch ein gesunder Glaube.

Jemand hat gesagt, der Gedanke „Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand“ war eine Hilfe in einer schwierigen Zeit. Denken Sie auch, dass gläubige Menschen in solchen Situationen einen Vorteil haben?
Der Glaube ist eine Ressource, die in Krisen zum Tragen kommen kann. Der Glaube, dass ich in Gottes Hand geborgen bin, was auch immer mir und mit mir geschieht, kann mir Trost, Kraft, Mut, Geduld geben. Ich vertraue darauf, dass am Ende nicht der Tod, sondern das Leben steht. Gesundes Glaubensleben ist Lebenshilfe. Es gibt aber auch, leider, viel Krankmachendes in der Religion.

Wie kann man das unterscheiden?

Gesund ist das Glaubensleben, wenn es das Leben fördert. Wenn dadurch Glaube, Hoffnung und Liebe vermehrt werden. Wenn es mich von Angst befreit und meine innere Freiheit größer macht.
Gesunde Religiosität kann helfen, mehr in Beziehung zu kommen zu sich selbst, zu anderen und zu Gott. Sich angenommen und aufgehoben zu fühlen und immer um noch eine neue Chance zu wissen.
Gar nicht so wenige Menschen leiden unter einer Religiosität, die sie krank gemacht hat und krank macht. Vieles, was sie erlebt haben, was sie geprägt hat und prägt, muss aufgearbeitet, verändert und geheilt werden.

Sollten Seelsorger psychologisches Wissen haben?
Nicht jede Seelsorgerin und jeder Seelsorger braucht eine psychologische Ausbildung. Ich denke aber, dass es wichtig ist, sich ein Grundwissen und -können in diesem Bereich zu erwerben. Ein Seelsorger muss einschätzen können, wann jemand, der zu ihm kommt, die Hilfe eines Spezialisten braucht. Er muss die Grenzen seiner Kompetenz kennen und einhalten.
Ebenso sollten Psychotherapeuten Menschen mit spirituellen Fragen an Seelsorgerinnen und Seelsorger verweisen. Das passiert erfreulicherweise immer häufiger.

Was ist für Sie das Verbindende zwischen Seelsorge und Psychotherapie?
Sowohl als Seelsorger als auch als Psychotherapeut versuche ich Menschen zu helfen, voller zu leben. Man nähert sich dem einen von verschiedenen Seiten.
Heute wächst bei Seelsorgern die Überzeugung, dass Psychotherapie manchmal notwendig und oft hilfreich ist, damit Leben gelingen kann. Und auch die Zahl der Psychotherapeuten, die Religion und Glaube als Krankheit oder Störung sehen, nimmt ab. Viele von ihnen beziehen sogar Spirituelles in ihre Arbeit mit ein.
Beziehung und Gegenwart sind zwei Dinge, die mir besonders wichtig sind. Beziehung heilt. Das weiß das Christentum. Es beschreibt ja Gott als Beziehung! Und es dreht sich alles um Beziehung, um die Beziehung zu sich selbst, die Beziehung zu anderen und anderem, Mitmenschen und Mitwelt, Schöpfung und die Beziehung zu Gott. Beziehungsfähiger werden, darum geht es. Dasselbe gilt für die Psychotherapie. Sie weiß heute, dass es vor allem die Beziehung ist, die Beziehung zwischen Klient und Therapeut, die Veränderung bewirkt.
Und die Gegenwart. Die Kraft der Gegenwart, die Kraft des Hier und Jetzt. Wenn es Menschen möglich ist, in das Hier und Jetzt zu kommen, dann kommen sie mit einem Bereich in Berührung, der tiefer ist als Gedanken und Gefühle. Sie kommen mit dem Sein in Kontakt. Die Gegenwart ist eine Tür zur „Gegenwart Gottes“. Sie „wohnt“ in jedem Menschen. Versteckt, verlegt vielleicht, aber sie ist da
Seelsorge wie Psychotherapie können und sollen Menschen helfen, diesen Wohnsitz Gottes in sich aufzufinden, diese Quelle des Lebens freizulegen.

Menschen in Krisen sollten also auch in der Kirche suchen?
Ja, das wäre wünschenswert. Entgegen der weit verbreiteten Meinung finden sich im Christentum große Schätze. Spiritualität ist Lebenshilfe.
Leider hat die Kirche diese ihre Schätze vergraben. Darüber liegen Struktur, Moral und vieles andere mehr. Kein Wunder, dass die Kirche ihre Kompetenz in spirituellen Dingen, ja in Fragen, wie man zu einem gelungenen Leben kommt, bei vielen heutigen Menschen eingebüßt hat.
Ich hoffe, sie legt ihr tiefes Wissen um das Leben in Fülle wieder langsam frei. Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder Männer und Frauen, die Jesus radikal nachgefolgt sind und die auf ihrem Weg entdeckt haben, was zum vollen Leben nötig ist, was dazu hilft, was heilt. Von den Wüstenvätern und -müttern angefangen über die zahlreichen Mystiker und Mystikerinnen bis zu geistlichen Menschen heute
Sie gilt es zu hören, von ihnen gilt es zu lernen.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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