Pädoyer für die Zukunft | Frage 1
Wollen wir noch selber denken?

Im Taumel zunehmender Unsicherheit Orientierung mitzugeben und am Schaffen von Werten mitzuwirken – kann sich das eine säkulare Gesellschaft von Kirche und ihren Institutionen der Bildung erwarten?
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Nicht alles glauben, was man denkt!

In acht Plädoyers deutet Hans Putzer zeitdiagnostisch diese Fragen ein weiteres Mal. Er war zwischen 2009 und 2012 Präsident der Katholischen Aktion Steiermark und von 2010 bis 2018 Direktor im Bildungshaus Mariatrost. Seit 2018 arbeitet er im Bürgermeisteramt der Stadt Graz und ist unter anderem für die Bereiche Menschenrechte, Religionsgemeinschaften und Bürgerbeteiligung zuständig.

Joseph Haydn ist unbestritten einer der bedeutendsten Komponisten der Musikgeschichte. Inzwischen sind – Gottseidank – auch die Zeiten längst vorbei, wo man Werke von „Papa Haydn“ bei Konzerten sozusagen zum „Aufwärmen“ von Interpreten und Publikum gespielt hat, bevor es dann mit den großen Meistern von Mozart bis Mahler so richtig ernst wurde. Heute wissen wir es besser: Haydn ist der große Innovator der Musik, egal ob Symphonie, Streichquartett oder Klaviersonate, er hat diese Gattungen bis heute maßstabgebend geprägt. Nikolaus Harnoncourt hat dies damit erklärt, dass Haydn am Eisenstädter Schloss Esterhazy abseits der Musikmetropolen ohne Verpflichtungen gegenüber den ästhetischen Vorstellungen seiner Zeit völlig neu zu denken und komponieren vermochte.
Henry Ford, der revolutionäre Autobauer am Beginn des 20. Jahrhunderts, hat wiederum einmal so treffend festgestellt: „Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde.“
Zwei historische Blitzlichter auf zwei auf den ersten Blick völlig unterschiedliche Lebenswelten! Und doch haben Haydn und Ford eines gemeinsam: Sie wollten, oder sagen wir es besser, sie mussten selbst denken! Nun wird es wohl kaum jemanden geben, der für sich selbst nicht den Anspruch erhebt, ein denkender Mensch zu sein. Aber letztlich ist es mit dem Denken wie mit der Zeit: „Wenn mich niemand darüber fragt, so weiß ich es; wenn ich es aber jemandem auf seine Frage erklären möchte, so weiß ich es nicht“ (Augustinus).

Irrtum eingeschlossen
„Bildung ist die Befähigung, selbst zu denken“, hieß lapidar der erste Satz zur ersten Frage „Wollen wir noch selbst denken?“ im diözesanen Konzept zum 800-Jahr-Jubiläum (siehe Spalte rechts). Schön, wenn es so einfach wäre, doch dieser Satz ist zumindest ebenso richtig, wie er falsch ist. Klingt paradox, ist es aber nicht, denn wir stecken mit solchen Behauptungen inmitten unseres guten alten Widerspruchs von Theorie und Praxis.
Theoretisch ist Bildung natürlich die Voraussetzung für jedes Weiterkommen im Denken. Meint doch Bildung im ursprünglichen Wortsinn zum einen, sich ein Bild von der Welt machen zu können, und zum anderen, an dieser Welt auch mitzubauen. Bloß die Erfahrung lässt von diesem Ideal meist wenig übrig. Organisierte Bildung war und ist immer interessengesteuert.
Das gilt für kirchliche Einrichtungen nicht weniger als für staatliche. Andererseits, und wir dürfen es ruhig zugeben, sollten wir doch alle längst erkannt haben, wie wenig frei und zugleich fehleranfällig unsere Gedanken sind. So wie in jedem reflektierten Glauben immer auch ein Stück Misstrauen vorhanden sein soll, muss jedem Denken grundsätzlich Skepsis entgegengebracht werden. Man muss ja nicht gleich den Pessimismus und Ekel von Charles Bukowski teilen: „Das Problem dieser Welt ist, dass die intelligenten Menschen voller Selbstzweifel und die Dummen voller Selbstvertrauen sind.“
Aber mein erstes persönliches Plädoyer für die Zukunft lautet: „Wenn Sie wirklich selbst denken wollen, hören Sie auf, mit allem einverstanden zu sein.“

Acht Fragen
Jubiläen zu begehen hat nur Sinn, wenn zugleich „nach vorne“ gedacht wird. So hat auch unsere Diözese anlässlich des 800-Jahr-Jubiläums 2018 in einem breiten Diskurs acht Fragen unter das Motto „Glauben wir an unsere Zukunft?“ gestellt.

> Wollen wir noch selber denken?
> Ist Armut unfair?
> Was würdest Du morgen zurücklassen?
> Rettet Schönheit die Welt?
> Wo brauchen wir Grenzen?
> Wer hat die richtige Religion?
> Muss ich heute Angst haben?
> Wie viel Macht hat eine schwache Kirche?

Die Serie wird begleitet durch die Online-Kolumne „Mitten im Leben“, in der Menschen aus ihrem Alltag im Zusammenspiel mit der jeweiligen Frage berichten. – www.katholische-kirche-steiermark.at/mittenimleben

Im Taumel zunehmender Unsicherheit Orientierung mitzugeben und am Schaffen von Werten mitzuwirken – kann sich das eine säkulare Gesellschaft von Kirche und ihren Institutionen der Bildung erwarten?
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In acht Plädoyers deutet Hans Putzer zeitdiagnostisch diese Fragen ein weiteres Mal. Er war zwischen 2009 und 2012 Präsident der Katholischen Aktion Steiermark und von 2010 bis 2018 Direktor im Bildungshaus Mariatrost. Seit 2018 arbeitet er im Bürgermeisteramt der Stadt Graz und ist unter anderem für die Bereiche Menschenrechte, Religionsgemeinschaften und Bürgerbeteiligung zuständig. Foto: Kanizaj | Foto: Kanizaj
Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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