Christentum - Ein Reiseführer | Etappe 049
Jesus, der Christus

Pantokrator, byzantinische Darstellung in der Hagia Sophia aus dem 9. Jh. | Foto: wmc
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Sohn Gottes

Die Einstellung Jesu ist auch gegenüber diesem Titel verhalten. So gibt es im Neuen Testament zwar mehrere Personen, die ihn mit diesem Titel konfrontieren. Nach den Aussagen der Evangelien gehört der Hohepriester Kajaphas (Mt 26,63) ebenso zu ihnen wie der heidnische Hauptmann (Mt 27,54), und Martha, die Schwester des Lazarus (Joh 11,27), ebenso wie Petrus oder die übrigen Jünger (Mt 14,33). Jesus lässt dies scheinbar anerkennend geschehen. Er greift jedoch nicht von sich aus nach diesem Titel. Zumindest findet sich im Neuen Testament keine einzige Stelle, an der Jesus sich selbst ausdrücklich als „Sohn Gottes“ bezeichnet.

Die Scheu vor der Verwendung des Titels bedarf einer Erklärung, denn immerhin beansprucht Jesus öffentlich und wiederholt, in einer besonderen, einzigartigen Beziehung zu seinem göttlichen Vater zu stehen. Die Evangelien belegen, dass er Gott immer wieder ausdrücklich und in hervorgehobener Weise als seinen „Vater“ anspricht. Dies wird gerade in den exklusiven Vater-Sohn-Worten deutlich, die sich in allen vier Evangelien finden. Worte wie diese machen klar, dass die Beziehung zwischen Vater und Sohn einzigartig ist und bleibt, auch wenn der Sohn seine Hörerinnen und Hörer einlädt, sich als Kinder Gottes zu verstehen. So eindringlich er sie aufruft, Gott in der Haltung kindlichen Vertrauens zu begegnen, so deutlich macht er doch auch, dass nur er selbst als der Sohn schlechthin von sich sagen kann:

Dass Jesus trotz seines ausgeprägten Be-wusstseins, selbst der Sohn des ewigen Vaters zu sein, von sich nie ausdrücklich als von dem Sohn Gottes spricht, wird verständlich, wenn man bedenkt, welche Assoziationen dieser Titel hervorrufen musste. Für die heidnische Umwelt Jesu waren Göttersöhne nichts Ungewöhnliches. Im Pantheon des Polytheismus gab es Göttersöhne, die der sehr menschlich vorgestellten Beziehung eines Gottes zu einer Göttin entstammten oder in sexuellen Beziehungen gezeugt worden waren, die ein in der Regel männlicher Gott mit einer Menschenfrau unterhielt. Dem Judentum hingegen, das früh zu der Überzeugung gelangt war, dass es nur einen Gott gab, waren derartige Vorstellungen ein Gräuel. Entsprechend streng achtete man innerhalb der jüdischen Welt auf ein eindeutiges Bekenntnis zum Monotheismus.

Hätte Jesus sich selbst als Sohn Gottes bezeichnet, so hätte er damit zum einen seine jüdischen Brüder und Schwestern vor den Kopf gestoßen. Sie hätten aus einer solchen Selbstbezeichnung geschlossen, dass er sich vom jüdischen Monotheismus ab- und dem heidnischen Polytheismus zugewandt hatte. Mit einer Selbstbezeichnung als Sohn Gottes hätte Jesus zum anderen ein Fehlverständnis seiner Person nach heidnischem Vorbild riskiert. In den Augen griechisch denkender und griechisch empfindender Zeitgenossen hätte er damit beansprucht, ein Halbgott zu sein, wie man dies etwa von Herakles behauptete. Diese Folgen ließen eine Zurückhaltung angeraten sein, wie Jesus sie faktisch gegenüber dem Titel „Sohn Gottes“ praktizierte.

Prophet, Messias, Sohn Gottes – Jesus spricht prophetisch, verkündet ein messianisches Reich und lebt aus der exklusiven Verbundenheit mit Gott als seinem Vater. Von daher scheint es richtig zu sein, wenn Menschen ihn als Propheten, Messias und Sohn Gottes verstehen. Dennoch wird keiner dieser drei Titel vollends bestätigt. Jeder von ihnen erfährt vielmehr eine Korrektur, die ein „mehr als“, „anders als“ zu bedenken gibt. Mit diesen Korrekturen macht Jesus darauf aufmerksam, dass jeder dieser Titel zwar eine gewisse Angemessenheit besitzt, aber dennoch keiner von ihnen das Geheimnis seiner Person ausschöpfen kann. Indem Jesus sich mit keinem dieser Titel voll und ganz identifiziert, hält er die Wahrnehmung seiner Person offen.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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