Plädoyer für die Zukunft | Frage 2 | Interview
Ist Armut unfair?

Kein Dach über dem Kopf. Jesus sagt: „Die Armen habt ihr immer bei euch“ (Joh 12,8). Aber müssen wir die Realität von Armut einfach hinnehmen, oder bleibt der Kampf gegen die Armut ein Dauerauftrag für die christliche Nächstenliebe?
 | Foto: Wodicka
2Bilder
  • Kein Dach über dem Kopf. Jesus sagt: „Die Armen habt ihr immer bei euch“ (Joh 12,8). Aber müssen wir die Realität von Armut einfach hinnehmen, oder bleibt der Kampf gegen die Armut ein Dauerauftrag für die christliche Nächstenliebe?
  • Foto: Wodicka
  • hochgeladen von SONNTAGSBLATT Redaktion

Niemand will arm sein!

Mag. Doris Kampus ist Landesrätin für Soziales, Arbeit und Integration. Sie stammt aus Köflach, absolvierte in Graz ein Studium für Übersetzung und Dolmetsch, ist verheiratet und Mutter von drei Kindern. Kampus war in der Regio­nalentwicklung tätig, bevor sie 2008 als Amtsleiterin in die Steiermärkische Landesregierung wechselte und an der Gemeinde­strukturreform mitwirkte. Seit 2015 ist sie Landesrätin.

Gibt es eine Armut, die fair oder gerechtfertigt ist?
Doris Kampus: Nein, Armut kann niemals fair sein oder gar gerechtfertigt. Sie ist das Ergebnis von realen Umständen und sozialen sowie ökonomischen Bedingungen. Armut ist das Werk von Menschen, sie kann daher auch verringert werden. Ziel meiner Sozialpolitik ist es, Armut zu bekämpfen und nicht Arme. Wer Menschen befähigt, selbst ihr Leben in die Hand zu nehmen, und ihnen, wenn nötig, den Weg zu einem Arbeitsplatz erleichtert, leistet dazu schon einen großen Beitrag.

Welche Formen von Armut sind bei uns in der Steiermark am bedrängendsten?
Ohne Zweifel wenn Kinder in Armut leben oder von Armut bedroht sind. Erfreulicherweise ist es uns in den letzten Jahren gelungen, das Ausmaß von Kinderarmut zu reduzieren, aber es bleibt noch immer viel zu tun.

Nach welchen Kriterien würden Sie Armut definieren?
Es gibt zum einen die offiziellen Kriterien, das ist, wenn das Haushaltseinkommen weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens ausmacht. Armut bedeutet aber ganz konkret, dass man sich zum Beispiel keinen neuen Kühlschrank leisten kann. Dass man in feuchten, schimmligen Räumen lebt. Dass man am Ende des Monats kein Geld mehr hat, um Lebensmittel einzukaufen. So sieht Armut dann konkret aus. Und es gibt viele unsichtbare Formen von Armut, die die Menschen geschickt verbergen. Armut hat viele Gesichter, aber es kann auch sein, dass man sie hinter einer Fassade nicht vermuten würde, denn niemand will arm sein.

Ist eine Gesellschaft ohne Armut vorstellbar?
Jedenfalls ist eine Gesellschaft ohne Armut ein Idealzustand, den wir anstreben müssen. Sie muss das Ziel einer Sozialpolitik sein, die diesen Namen auch verdient.

Wie ist es um den Grundwasserspiegel der Solidarität in der Bevölkerung bestellt?
Gerade in den vergangenen Monaten mit den Herausforderungen durch die Corona-Pandemie hat sich gezeigt, wie stark das soziale Netz in der Steiermark ist und wie sehr die Steirerinnen und Steirer zusammenhalten. Sowohl bei der Spendenbereitschaft als auch beim ehrenamtlichen Engagement habe ich den Eindruck, dass der Grundwasserspiegel steigt. Aber wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass es immer so bleibt. Wir müssen jene guten Vorbilder immer wieder vor den Vorhang holen, die zum Nachahmen Mut machen.

Was sollen die Kirchen im Umgang mit und im Kampf gegen Armut beitragen?
Ich sehe die Kirchen in einer doppelten Rolle. Sie werden auch in Zukunft unverzichtbare Partner in unserem gemeinsamen konkreten Kampf gegen Armut sein. Und auch die Funktion, immer wieder zu mahnen, Probleme zu benennen und Lösungsvorschläge einzubringen, wird leider weiterhin sehr wichtig sein. Es geht darum, gemeinsam dafür zu kämpfen, dass Solidarität wächst. Wir müssen das Gemeinsame leben.
 
Acht Fragen
Jubiläen zu begehen hat nur Sinn, wenn zugleich „nach vorne“ gedacht wird. So hat auch unsere Diözese anlässlich des 800-Jahr-Jubiläums 2018 in einem breiten Diskurs acht Fragen unter das Motto „Glauben wir an unsere Zukunft?“ gestellt.

> Wollen wir noch selber denken?
> Ist Armut unfair?
> Was würdest Du morgen zurücklassen?
> Rettet Schönheit die Welt?
> Wo brauchen wir Grenzen?
> Wer hat die richtige Religion?
> Muss ich heute Angst haben?
> Wie viel Macht hat eine schwache Kirche?

Die Serie wird begleitet durch die Online-Kolumne „Mitten im Leben“, in der Menschen aus ihrem Alltag im Zusammenspiel mit der jeweiligen Frage berichten. www.katholische-kirche-steiermark.at/mittenimleben

Kein Dach über dem Kopf. Jesus sagt: „Die Armen habt ihr immer bei euch“ (Joh 12,8). Aber müssen wir die Realität von Armut einfach hinnehmen, oder bleibt der Kampf gegen die Armut ein Dauerauftrag für die christliche Nächstenliebe?
 | Foto: Wodicka
Mag. Doris Kampus ist Landesrätin für Soziales, Arbeit und Integration. | Foto: Drexler
Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ