Türkei: Begegnungen im 21. Jahrhundert | Teil 05
Es ist nicht der Islam, der Menschen dazu treibt

Immer weniger feiern mit. Die Alten sterben weg, Junge kommen nicht mehr nach: Die Mitglieder der griechisch-orthodoxen Kirche in der Türkei wandern aus. „Das ist das Resultat einer nationalen Politik in den letzten Jahren“, sagt Vater Dhosithéos und wettert in Richtung türkische Regierung: „Keiner verlässt ein Land, wo man seine Ursprünge hat, einfach so.“

Auch er selbst hat fast sein ganzes Arbeitsleben in Deutschland verbracht: „Nach meinem Militärdienst habe ich beschlossen, meine Kinder nicht in diesem Staat auf die Welt bringen zu wollen.“ Als Mitglieder der orthodoxen Kirche hätte man sie im türkischen Staat als Minderheit unterdrückt, sagt Dhosithéos und erklärt: „Der Laizismus, wie er in der Türkei verstanden wird, will keine Trennung von Staat und Religionen wie in West-Europa, sondern kennt nur eine Religion: den sunnitischen Islam.“ Aus Angst vor Splittergruppen akzeptiert man Minderheiten-Religionen nicht als Körperschaften öffentlichen Rechts. Vor über 30 Jahren hat der türkische Staat die Priesterschule des Patriarchats zwangsweise geschlossen. Istanbuls orthodoxe Geistliche haben heute somit überwiegend das Pensionsalter erreicht. Nachwuchs aus Griechenland zu rekrutieren ist aber verboten: Die Türkei vergibt an Geistliche aus dem Ausland keine Arbeitsgenehmigung.

„Im Osmanischen Reich gab es zwar immer wieder Probleme, aber man lebte in freundschaftlicher Koexistenz zusammen. Heute macht uns die nationale Politik kaputt“, beschreibt er die gegenwärtige Entwicklung der griechisch-orthodoxen Kirche in der Türkei. Die Zahl ihrer Mitglieder im ehemals griechisch geprägten Istanbul schätzt man nur noch auf 3000. Die meisten sind nach Griechenland emigriert: „Dort wird man respektiert.“

Dhosithéos kehrte hingegen vor fünf Jahren hoffnungsvoll in seine alte türkische Heimat zurück: „Ich war 61 Jahre, ging in Pension und bemerkte, dass die Situation für die Orthodoxen in der Türkei schlecht war. Deshalb fragte ich, ob ich etwas tun kann.“ In der Zwischenzeit wurde er in Istanbul zum Diakon, dann zum Priester geweiht – , obwohl ich das eigentlich nie werden wollte.“ Seit seiner Rückkehr lenkt der gelernte Mathematiker und Biologe auch die Öffentlichkeitsarbeit für den Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. „Aber ich bin kein Theologe, denn ich mag diese Dinge nicht. Was uns verbindet, ist der Glaube“, sagt er schmunzelnd.

Und wie erlebt er seine alte Heimat heute? „Feindschaft gegenüber uns Orthodoxen wie früher stelle ich nicht fest.“ Dhosithéos hat aber auch Angst: „Vor denjenigen, die von der Politik instrumentalisiert sind.“ Barbarische Aktionen gegenüber Minderheiten stünden in Anatolien noch immer an der Tagesordnung, betont er und unterstreicht mehrmals: „Es ist nicht der Islam oder der Koran, der Menschen zu diesen Aktionen treibt, sondern der Nationalismus.“

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SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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