Lebensjahr 2008 - Was nun? | Teil 02
Die Nächte mit meinem Zweitberuf

Glitzernde Bilder, um den Alltag zu vergessen. | Foto: Lunghammer

Das Gewinnen war mir egal!“ Schwer vorstellbar, was der junge Mann erzählt. Unvorstellbar für einen, der die Situation nicht kennt, das Gefühl nicht, das sich einstellt, wenn es zu laufen beginnt. „Es geht ums Spielen, nicht um das Gewinnen.“ Um Spielen als Möglichkeit, sich wegzubeamen – und dieser Fluchtweg aus der Wirklichkeit wird immer öfter benutzt.

Bei b.a.s., der Steirischen Gesellschaft für Suchtfragen, stiegen die Anfragen betreffend Glücksspiel stark an. Schon 2002 verdreifachten sich die Informationsberatungen und erreichten 2006 einen Höhepunkt mit 597 Kontakten. Tendenz nach wie vor steigend. Psychotherapeut Karlheinz Bliemegger, der dort Beratungen für Menschen mit dieser Problematik durchführt, zählte 2002 noch 76 Gespräche mit Glücksspielern, 2007 über 736. Vor allem ab 2006 bemerkte er einen gewaltigen Zuwachs an Lokalitäten, wo Automaten aufgestellt werden.

Gelegenheit macht Spieler.
Sicher ein Teil der Erklärung für diese Entwicklung. In der Steiermark wachsen die Automatencafés aus dem Boden wie Schwammerln nach dem Sommerregen, denn der Gewinn, der sich machen lässt, ist enorm. Derzeit ist die Abgabe mit 467,50 Euro pro Automat und Monat relativ günstig. Wie sehr, zeigt der Vergleich mit Wien: 1400 Euro kostet es dort, einen der hemmungslosen Geldvernichter aufzustellen. 4700 Spielautomaten sind in der grünen Mark gemeldet. Hochgerechnet auf die Einwohner, kommt jetzt schon einer auf 256. In Wien ist es einer pro 669 Bewohner, in Kärnten ein Automat für 900 Menschen. Der Soziologe Peter Gasser-Steiner schätzt die an Spielsucht Erkrankten hierzulande auf 8000, dazu 29.000 „problematische Spieler“ mit Suchtpotenzial. Die Beratungsstelle b.a.s. sieht sich mittlerweile am Ende ihrer Kapazität und ruft einen Aufnahmestopp für neue Klienten aus.

Einen Tag ohne. 
Gerhard Matzl betreut seit Ende 1998 die Selbsthilfegruppe „Heute nicht“. Damals galt die Gruppe als exotisch, weil Glücksspieler lediglich als dumm angesehen wurden. Mittlerweile ist das Bewusstsein vorhanden, dass es sich hier um ein Suchtverhalten handelt. Jeden Donnerstag kommen bis zu 25 Leute in die Dreihackengasse, um zu erzählen und die Unterstützung der Gruppe anzunehmen. Matzl selbst war anfänglich nur Teilnehmer. Wenn er sich erinnert, muss der Vermögensberater schmerzlich lächeln und den Kopf schütteln. Wenn er daran denkt, wie lange er geleugnet hat, was mit ihm passiert war. „Ich war ja nicht süchtig. Ich bin so oft hingefallen, aber eines Tages bin ich aufgewacht und hab gemerkt, wie es funktioniert.“

Der Apparat gewinnt.
Es war ein Machtkampf. „Ich wollte mich nicht besiegen lassen, wollte beweisen, dass ich stärker bin als der Automat. An seinen Stammplätzen und Stammapparaten hat Gerhard Matzl nächtelang durchgespielt, dann geduscht und ist in die Arbeit gegangen. „Das Spielen war mein Zweitjob.“ Genügend Geld zur Verfügung zu haben wird für jeden Spieler zur Notwendigkeit. Anfangs lassen sich Engpässe ausgleichen. Man hat seine Schleichwege, verkauft Dinge, leert Sparbücher, bittet Freunde und Verwandte um Hilfe. Manchmal kommt kurzfristig der immer stärker erhoffte Gewinn, der natürlich wieder in den Automaten fließt. Wirkliche Lebenswünsche werden zurückgestellt. Für Gerhard Matzl war das ein Porsche. Er hatte den tollen Flitzer schon angezahlt, aber das war schließlich nicht so wichtig.

Verzweifeltes Umfeld. 

„Man lügt ja nur mehr. Man belügt die anderen und sich selbst.“ Ehen zerbrechen, Freunde ziehen sich zurück, wenn sie immer wieder um Geld gebeten werden. Man wird ein guter Schauspieler, um zu verbergen, was eigentlich läuft.

Recht gefordert. 
Spieler und Betreuer wünschen sich strengere gesetzliche Regelungen für das so genannte kleine Glücksspiel: Ein Verbot des Geldscheineinsatzes wäre sinnvoll, auch eine zeitliche Verzögerung vom Beginn des Einsatzes bis zum Verlust, so dass man nicht so viele Spiele schnell hinterei-nander macht und nicht unbedingt in diesen Taumel hineinkommt, der sich nicht mehr stoppen lässt. Auch eine exakte Einhaltung des höchstmöglichen Einsatzes von 50 Cent würde helfen, damit die verlorenen Summen sich nicht so schnell in schwindelnde Höhen hochschrauben.

Wege hinaus.

Die Erzählungen von Betroffenen aus der Selbsthilfegruppe machen betroffen, weil der Mut deutlich wird, den diese Menschen aufbringen. Aufbringen müssen: „Sechs bis sieben Jahre werde ich noch zahlen, aber ich schau nach vorn“, erklärt mir einer. Therapie hat nur Sinn, wenn man selbst so weit ist, oft erst dann, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht. Wenn Beziehungen auf der Kippe stehen, es Rückfälle gibt und man einsieht, dass es allein nicht zu schaffen ist. Partnerinnen stellen eine Therapie als Bedingung für ein weiteres Zusammenleben. Dann beginnt der weite Weg, um Schulden abzubauen, die beträchtlich sein können.

„Oft frag ich mich: Warum hab ich nicht selbst fünf Apparate aufgestellt, dann müsste ich nicht mehr arbeiten.“ Gerhard Matzl macht einen kleinen Scherz, der nicht witzig ist. Die bunten Lichter in den Cafés blinken weiter und locken. Blicke frieren am Monitor fest, weit weg von der Wirklichkeit.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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