Mit Tieren leben | Einleitung
Der mit den Tieren lebt

Direktor Michael Martys vor dem neuen Großaquarium des Alpenzoos. | Foto: Alpenzoo, Amschl
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Das SONNTAGSBLATT im Interview mit Michael Martys, Direktor des Alpenzoos Innsbruck.

Als Alpenzoo-Direktor sind Tiere Ihr Beruf. Wie sind Sie auf das Tier gekommen?
Michael Martys: Wie mir meine Mutter später erzählte, habe ich schon sehr früh einen ausgeprägten Bezug zur belebten Natur gehabt. Ich steckte oft Schnecken in die Hosentaschen und habe Regenwürmer nach Hause gebracht. Die Vielfalt der Lebewesen hat mich fasziniert. Dieser frühkindliche Zugang wurde auch von meinem Vater sehr gefördert. Er hat uns die belebte Natur nahegebracht, und wir hatten eine Art kleines Museum – mit Gesteinen, Muscheln und Meerestieren, die wir auf Reisen gesammelt haben. Später wollte ich den Dingen auf den Grund gehen und Archäologie studieren. Man hat mir wegen fehlender Berufsaussichten abgeraten, so habe ich mich für meine zweite Leidenschaft, die Zoologie, entschieden.

Was faszinierte Sie daran?
Die Verhaltensstudien von Konrad Lorenz an Tieren haben mich fasziniert. Hier gab es etwas zu entdecken. Das Studium der Zoologie habe ich mit Psychologie kombiniert. Am Ende machte ich bei Lorenz meine Doktorarbeit über das Verhalten von Wildschweinen. Als Leiter des Konrad-Lorenz-Institutes habe ich dann auch die Graugänse erforscht. Es gibt eine Reihe von Parallelen zum Verhalten von Menschen – keine homologe Übereinstimmung, aber Parallelen. Der Mensch hat eine Sonderstellung.

Warum Ihr spezielles Interesse am Wildtier?
Wir hatten natürlich auch eine Hauskatze, die wir als Kinder sehr geliebt haben, auch eine Schildkröte. Sie waren Hausgenossen über viele Jahre. Aber viel mehr noch faszinierte mich das Nicht-Bekannte, das Verborgene im Tier. Besonders interessierte mich während des Studiums die Vielfalt der Insekten – unglaublich, wie viele Formen und Anpassungen diese Tiergruppe hervorgebracht hat. Erst durch meinen Doktorvater kam ich dann auf größere Tiere als Studienobjekte.

Ist eine Fliege für Sie ein Individuum, vor dem Sie Respekt haben?
Das gilt ja nicht nur für Tiere. Wir nehmen auch den einzelnen Menschen als Individuum wahr, aber vor Menschenansammlungen haben wir eher Scheu. Ein Insekt ist etwas Besonderes. In der großen Masse wird es zur Plage, im besten Fall zum Futter für andere Tiere. Was trotzdem gilt, ist der respektvolle Umgang mit den Tieren.

Was sind die erstaunlichen Entdeckungen Ihrer Beschäftigung mit Tieren?
1975 habe ich mit der Wildschwein-Forschung begonnen. So wie auch die Haustier-Form ist das Schwein ein sehr intelligentes Wesen und lernfähig. Auf der einen Seite gibt es zwar starke genetisch vorgegebene Bahnen, andererseits sind auch Tiere lernfähig. Das ist etwas, das man vielen Tierarten gar nicht zutraut. Begriffe wie „blödes Schwein“ oder „dumme Gans“ verkehren die Situation völlig. Das merkt man weniger in einem großen Schweinestall, sehr wohl aber, wenn man ein einzelnes Tier vor sich hat.

Einerseits spenden Menschen viel für Tierschutz-Organisationen, andererseits haben sie Angst vor Tieren. Woher die Diskrepanz?
Das Tier provoziert Emotionen. Menschen interpretieren in Tiere oft menschliche Wesenszüge hinein, die dem Tier gar nicht gerecht werden. Der unreflektierte emotionale Zugang zum Tier – auch die Liebe zum Tier – hat sich oft von einem realistischen Mensch-Tier-Bezug entfernt. Andererseits gibt es die emotionale Furcht vor dem Tier, wenn man etwas nicht kennt. Was man nicht einordnen kann, erzeugt Angst.

Haben Menschen zu viel Angst vor Tieren?
Wir fürchten uns vor einem Wolf, der in unsere Wälder zurückkehrt, obwohl wir viel mehr Angst vor einem schlecht erzogenen Hund haben müssten, der einen tatsächlich beißen kann. Hier spielen irrationale Ängste, die aus dem 19. Jahrhundert stammen, eine Rolle.

Lassen wir bei uns in Mitteleuropa Tieren genug Platz?
In vielen Fällen ist ein Miteinander von Tier und Mensch möglich. Die nötige Toleranz dazu entsteht aus dem Wissen. Wenn ich die Lebensbedürfnisse von Wildtieren kenne, weiß ich auch, inwieweit etwas ein Problem ist – und was ich an meinem Lebensstil ändern kann, damit die Natur zu ihrem Recht kommt. Schwierig ist es dort, wo der Lebensraum für Tiere schon stark eingeengt wurde. Die Nutzung durch Land- und Forstwirtschaft bedeutete massive Veränderungen in der Umwelt der Tiere, und so wird es für manche Tierarten zunehmend schwerer, sich bei uns wieder einzufinden.

Ist ein Miteinander von Wildtieren und wirtschaftlicher Nutzung dennoch möglich?
Wir hätten kein Problem, wenn wir es nicht auf der emotionalen Ebene hätten. Der Fischotter zum Beispiel könnte sich in unseren Gewässern auch heute sehr gut zurechtfinden. Nur wir Menschen haben das Gefühl, dass er uns etwas wegnimmt. Wir vergessen, dass jeder Fischteich für den Fischotter eine einfache Futterquelle ist, die er nutzt. Hier entsteht der Konflikt. Wir können das dem Fischotter nicht anlasten, aber wir können ihn mit geeigneten Schutzmaßnahmen von Fischteichen fernhalten. Heute ist es allermeist kein existenzielles Problem, wenn Wildtiere unsere Ressourcen mitnutzen. Anders im 19. Jahrhundert, wenn ein Bauer drei Ziegen und eine Kuh hatte und ein Rudel Wölfe ihm die letzte Kuh gerissen hat, dann war das tatsächlich existenzgefährdend. Heute können wir zu Recht die Toleranz gegenüber Tieren einfordern, nicht nur, weil Gesetze dies verlangen, sondern weil Tiere Mitgeschöpfe sind. Es ist wichtig, dass das Tierschutzgesetz in seiner aktuellen Fassung das Tier als unser Mitgeschöpf definiert.

Berühren sich hier Theologie und Zoologie?
Ja. Wir haben die Pflicht, einen ethischen Umgang mit dem Tier zu leben.

Worin unterscheiden sich Menschen- und Tierliebe?
Menschenliebe ist stark mit Nächstenliebe verknüpft. Die Liebe zum Tier hat andere Faktoren. Ich kann mich als Dressurreiter auch über die besondere Leistung meines Pferdes freuen. Ich kann mich sogar über etwas freuen, was ich eigentlich als Qual für das Tier bezeichnen muss, zum Beispiel die gezielte Züchtung fast pathologischer Körperformen, etwa den sprichwörtlich nackten Hund als spezielle Rasse. Aber ein treuherzig dreinblickender, in der Vorstellung mancher Menschen hässlicher Hund ist oft der, der die Herzen öffnet und deshalb einen guten Platz bei Tierfreunden findet.

Essen Sie Fleisch?
Der Mensch ist zoologisch ein Allesfresser. Daher ist es berechtigt, Fleisch zu essen. Und ich esse gerne Fleisch, allerdings nicht sehr oft. Nutztiere sind zu diesem Zweck gezüchtet worden. Aber mit dem Tier, das wir essen, müssen wir auch sorgsam umgehen, so dass es ein gutes, tiergerechtes Leben führt, ehe es ein rasches und schmerzloses Ende findet.

Was muss jemand beachten, der Tiere hält?
Man darf nicht nur nach den eigenen Bedürfnissen gehen, sondern muss auch die Bedürfnisse des Tieres beachten. Schlimm ist, dass Menschen zunehmend exotische Tiere halten wollen, die man ja heute günstig erwerben kann. Gerade Reptilien leben aber oft sehr lange – und werden dann ausgesetzt. Manche wollen mit so einem Tier doch nur ihr Ego streicheln.

Und wenn Kinder Tiere haben wollen?
Ein guter Einstieg ist ein Aquarium. Es bringt auf sehr einfache Art nahe, wie ein Ökosystem funktioniert. Bei einem Aquarium lernen Kinder auch, Verantwortung für das Tier zu übernehmen. Denn leider verlieren Kinder oft mit dem Älterwerden das Interesse und vernachlässigen das ihnen anvertraute Tier.

 

Direktor Michael Martys vor dem neuen Großaquarium des Alpenzoos. | Foto: Alpenzoo, Amschl
Tiere zeigen mir viel von einem schöpfungsgemäßen Leben. Sie sind unsere Geschwister. | Foto: Weihbischof Dr. Franz Lackner
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SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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