Gerecht leben - Fleisch fasten. 2014 | Teil 01
Am Anfang steht die Achtsamkeit

Die meisten von uns nehmen gar nicht einmal mehr wahr, was sich bei den Mahlzeiten direkt vor uns auf dem Teller befindet ... | Foto: Fotolia
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Wir haben heute die Fähigkeit, mit einer Vielzahl von technischen Hilfsmitteln Dinge zu erforschen, die wir nie für möglich gehalten hätten“, hielt der US-amerikanische Trappistenmönch Thomas Merton in seinem Tagebuch fest. Merton fügte hinzu: „Aber wir nehmen nicht mehr wahr, was sich direkt vor uns befindet.“

Die meisten von uns nehmen nicht wahr, was sich bei den Mahlzeiten direkt vor uns auf dem Teller befindet. Achtsamkeit hingegen bedeutet, sich der vor uns liegenden Nahrungsmittel bewusst zu werden: Brot und Käse, Kartoffel und Reis, Obst und Gemüse, häufig auch Wurst und Fleisch. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir etwas zu essen haben, und wir haben Gott und seiner fruchtbaren Erde dafür zu danken. Die buddhistische Gemeinschaft des vietnamesischen Zen-Meisters Thich Nhat Hanh spricht vor jeder Mahlzeit u. a. folgende Worte: „Dieses Essen ist ein Geschenk des ganzen Universums, der Erde, des Himmels. Mögen wir dieses Geschenk in Achtsamkeit und Dankbarkeit empfangen.“

Achtsames Essen bedeutet: Man nimmt wahr, wie ein bestimmtes Nahrungsmittel aussieht, wie es riecht, wie es schmeckt. Man isst konzentriert und fokussiert, schlingt die Speisen nicht achtlos hinunter. Man nimmt wahr, was man isst. „Sehen dessen, was ist“, stellte der Philosoph Josef Pieper fest, „soll man nun ja nicht für eine Kleinigkeit halten; es handelt sich um ein höchst anspruchsvolles Unternehmen.“

Achtsamkeit steht auch am Anfang von Ethik und Moral. Achtsam zu sein bedeutet, sich dem Schönen und Guten zu öffnen, es wertzuschätzen und sich daran zu freuen. Es beinhaltet allerdings auch die sensible, genaue Wahrnehmung dessen, was weniger schön und vielleicht schrecklich ist. Achtsamkeit verbietet, eigenes und fremdes Leid zu verdrängen. Bruder David Steindl-Rast hat diesen Sachverhalt auf poetische Art wie folgt be-schrieben: „Wir müssen Dinge ins Auge fassen, die wir nicht gerne sehen. Wir werden vielleicht das Weinen der Welt hören, das Weinen der Unterdrückten. Wir werden vielleicht riechen, dass etwas faul ist im Staate Dänemark. Wenn wir uns zu Tisch setzen, werden wir das Salz der Tränen kosten, das aus der Dritten Welt mit unseren Lebensmitteln importiert wird. Wir werden … zutiefst berührt sein von allem Schönen und von allem Schweren und Schrecklichen, das es in unserer Welt gibt.“

Am Anfang des Fleischfastens steht die Achtsamkeit für Schmerz, Leid und Tod der Tiere in der Intensiv- und Massentierhaltung. Am Anfang des Fleischfastens steht die Achtsamkeit für die Kleinbauern in Ländern der sogenannten Dritten Welt, denen man ihr Land raubt, um jenes Soja anzubauen, das an die Rinder in reichen Ländern verfüttert wird. Am Anfang des Fleischfastens steht die Erkenntnis, dass das maßlose Essen von Tieren den ökologischen Fußabdruck, die Klimaerwärmung und das eigene Körpergewicht ansteigen, Wasserquellen und menschliches Mitgefühl jedoch versiegen lässt.

Kurt Remele
ist Ao. Univ.-Prof. am Institut für Ethik und Gesellschaftslehre der Karl-Franzens-Universität Graz.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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