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Waidmannsheil oder Tierwohl?

Zur Jagd kann man unterschiedlicher Ansicht sein. Wir haben die Försterin und Waldpädagogin Martina Laubreiter und den Tierethiker Kurt Remele um ihre Perspektiven auf den Abschuss von Wildtieren gebeten.

Wer schützt was vor wem?
Die Jagd, lange eine Form der Nahrungs-beschaffung des Menschen, wird heute auch als Freizeitgestaltung oder Brauchtum gepflegt. Dass dabei Tiere getötet werden, entspricht für viele nicht dem Verständnis eines „Hobbys“. Zugleich ist JägerIn ein Berufsstand mit konkreten Aufgaben, auch im Blick auf den Schutz des Waldes. Diese beiden Perspektiven stehen sich hier gegenüber: Warum sie es für notwendig hält, Wildtiere zu bejagen, erklärt Försterin und Waldpädagogin Mag. (FH) Martina Laubreiter, MA MSc. Warum er es für tierethisch bedenklich hält, Wildtiere zu bejagen, beschreibt ao. Univ.-Prof. i. R. Mag. Dr. theol. Kurt Remele.

»Wildbestände müssen in waldverträglichem Ausmaß gehalten werden.«

Martina Laubreiter

 ist Prozessbereichsleiterin für Innovation & Entwicklung bei der Katholischen Kirche Steiermark, Försterin und Waldpädagogin.

Der Wald ist für uns Menschen eine wichtige Lebensgrundlage als Rohstofflieferant, erneuerbare Energiequelle, Trinkwasserspeicher, Schutz- und Erholungswald, CO2-Speicher u. v. a.
In diesem komplexen Ökosystem gibt es vielfältige Wechselwirkungen zwischen Pflanzen, Tieren und Boden. Der Erhaltung unseres Waldes ist am besten gedient, wenn er die Fähigkeit hat, sich selbst möglichst standortgerecht und baumartenreich zu verjüngen. Nach dem Wildeinflussmonitoring 2021 ist das in vielen Gebieten Österreichs nicht möglich. Wildbestände wie z. B. Reh-, Rot- und Gamswild sind in vielen Bezirken der Steiermark zu hoch. Durch den Verbiss der Keimlinge und Triebe junger Bäume kommt es zu einer Entmischung unserer Wälder, und stabilisierende Zukunftsbaumarten wie z. B. Tanne und Eiche verschwinden immer mehr. Erschwerend kommt hinzu, dass viele FreizeitnutzerInnen des Waldes, aber auch nicht zeitgemäße Jagdmethoden wie etwa die Trophäenjagd zu einer Beunruhigung des Wildes führen. Dadurch wird es vermehrt nachtaktiv und eine ausreichende Bejagung schwieriger.

Mitverantwortung für ein intaktes Ökosystem
Die Jagd bleibt unerlässlich, solange natürliche Feinde wie Wölfe, Bären und Luchse in Österreich nicht toleriert werden bzw. keine geeigneten Lebensräume finden. Wildbestände sind ein unverzichtbarer Teil des Ökosystems Wald, und dennoch braucht es eine Senkung der Populationen auf ein waldverträgliches Ausmaß. Monetäre Abgeltungen für Wildschäden sind daher nicht die Lösung. Jagd im positiven Sinne bedeutet, Mitverantwortung für ein intaktes Ökosystem Wald zu übernehmen und diese dementsprechend auszurichten.

»Jagd könnte durch tierfreundlichere Alternativen ersetzt werden.«

Kurt Remele

ist ao. Univ.-Prof. für Ethik und christliche Gesellschaftslehre i. R. und Fellow des Oxford Centre for
Animal Ethics.

Vor einiger Zeit beschrieben zwei Frauen aus besseren Kreisen, welch erstaunliche Auswirkungen das Jagen auf ihr Gemüt habe. Die absolute Ruhe und die Verbindung zur Natur ließen sie den stressigen Alltag vergessen. Eine von ihnen stellte fest: „Andere machen Yoga, ich gehe eben jagen.“ Aus ethischer Sicht ist es unzulässig, Jagd und Yoga gleichzusetzen. Denn gerade jene Form der Jagd, die als Hobby oder Freizeitbetätigung durchgeführt wird, ist ein höchst fragwürdiges Unternehmen. Bei der Jagd wird ein Wildtier, also ein fühlendes, schmerzsensibles Mitgeschöpf, das gerne weitergelebt hätte, in Angst und Schrecken versetzt und mutwillig getötet. Vor allem dort, wo mit Schrot auf Niederwild geschossen wird, werden die Tiere zudem häufig nur angeschossen (Jägersprache: „angeschweißt“) und sterben einen qualvollen Tod. Neben der Hobbyjagd gibt es noch drei weitere Formen der Jagd: Subsistenzjagd zur Nahrungsbeschaffung, kommerzielle Jagd zur Einkommenserzielung und Ultima-Ratio-Jagd, um angeblich oder tatsächlich überhöhte Wildtierbestände zu reduzieren.

Ernsthafte tierethische Vorbehalte
Die beiden ersteren Jagd-Formen sind bei uns nicht notwendig, um gut zu (über)leben, die letztere Form könnte durch tierfreundlichere Alternativen ersetzt werden: Beendigung des Kreislaufes von Winterfütterung und Jagd, hormonfreie Immuno-Kontrazeption, Pflanzenschutzgitter, Abzäunungen und die Erhaltung wildtierlicher Lebensräume. Während die Tierethik ernsthafte Vorbehalte gegenüber der Jagd artikuliert, hält die Kirche am Retro-Ritual der Hubertusmesse fest, das den Abschuss von Wildtieren theologisch legitimiert.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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